Von der EP „Rigid“ über „Goldener Strom“ bis hin zu ihrem fünften Album „Sabbatical“ entfaltet Rosa Anschütz eine musikalische Sprache, die weibliche Selbstermächtigung nicht bloß behauptet, sondern unbeirrbar erfahrbar macht. In einer Welt, die Musik auf Algorithmen reduziert und Aufmerksamkeit in Sekunden misst, ist Rosa Anschütz ein erwachendes Störsignal.
Während Playlists nach Genre sortieren und Hörer nach dem ersten Refrain weiterklicken, verweigert sich ihre Kunst der schnellen Einordnung. Sie ist kein Produkt, sondern ein Prozess! Ihre Songs sind kein Smalltalk, sondern eine tiefgehende Herausforderung: Wer zuhört, muss bleiben. Wer bleibt, wird obsessiv. Denn in ihrer Musik liegt eine radikale Schönheit.
Man kann sich in ihren Songs verlieren, weil Rosa Anschütz ihrer Kunst eine eigentümliche Kraft verleiht, die Klangräume öffnet, in denen man sich einschließen kann. Räume, die nicht erklären, sondern erspüren lassen. Räume, die jedoch nicht festhalten, sondern sich wandeln – wie ein innerer Strom, der sich seinen Weg bahnt.
Zumal Rosas Stimme ein flüchtiger Hauch ist – wie Nebel, der sich über nächtlichen Asphalt legt. Doch manchmal erhebt sie sich kristallklar, wie der Himmel über einem stillen Ort, an dem alles seinen Platz findet.
Zwischen 2017 und 2024 entstand in stiller, intensiver Arbeit mit „Sabbatical“ ein musikalisches Werk, welches eine persönliche Chronik, ein emotionales Tagebuch und ein künstlerischer Befreiungsschlag ist. Im Dezember 2024 wurde es nach elf Jahren Songwriting, Reflexion und innerer Kämpfe in Strausberg vollendet.
Rosa Anschütz knüpfte dort an, wo ihre erste EP „Rigid“ aufgehört hat. Doch diesmal ist der Ton anders: freier, radikaler, ehrlicher. Die Texte sind keine Provokation, sondern Notwendigkeit. „Sabbatical“ greift die schwierigsten persönlichen Themen an, packt sie und verwandelt sie in Klang. Sie schreibt über Körper, Kontrolle, Beziehungen und das Gewicht der eigenen Geschichte – Themen, die als Reinigungsritual gedeutet werden können. Es ist ein Album, das sich nicht schämt, sondern dazu im aufrichtigen Haupt bekennt.
Die Songs bewegen sich durch Erinnerungen an Kindheit und Jugend bis zum Moment des Schreibens. Immer wieder stellt Rosa Anschütz sich die Frage: Wie gehe ich durchs Leben? Bin ich Treibende oder Getriebene? Der Körper wird dabei zum widersprüchlichsten Akteur – mal Werkzeug, mal Gegnerin, mal Zeugin der inneren Zerrissenheit.
Mit „Sabbatical“ beginnt eine Auszeit. Es ist ein symbolischer Akt: sich waschen, sich lösen, sich neu ordnen. Die Musik hält diese Erkenntnis fest, manchmal greifbar und bewusst, manchmal nur als schweres Gewicht, das durch die Lebenssituationen trägt.
Den Titel hat sie nicht zufällig gewählt. Dieser steht für das Sich-Einlassen auf den Fluss des Lebens, auf seinen Wahnsinn und seine Schönheit. Und wenn dieser Fluss zur Flut wird, stellt sich die Frage: Wen reißt er mit sich? Damit wird Wasser zur Metapher für das Auflösen, für die fließenden Grenzen, die das Leben immer wieder neu definieren.
Der erzitternde Opener „Eva“ ist ein Stück, das sich wie ein innerer Monolog anfühlt. Jenes poetische Protokoll bewegt sich in der Dunkelheit. Nahezu entfaltet sich der Song wie ein düsteres Ritual, in Abfolge von symbolischen Bildern, die eine innere Reise skizzieren: eine Frau namens Eva, die sich in einem Zustand zwischen Traum, Trauma und Erkenntnis bewegt. Das dreifache Anrufen von „Eva Eva Eva“ am Ende wirkt dazu wie ein Echo, einem Ruf nach Rettung oder Erinnerung, der den Aufbruch des sich selbst wiederfindens verkörpert.
Für das Album hat Rosa Anschütz die Songs „Plaster Copy“ und „Watch Me Disappear“ neu aufgenommen – zwei ihrer frühesten Stücke, die ursprünglich auf SoundCloud erschienen. Das disziplinierte „Plaster Copy“ kreist um psychische Fragilität und zwischenmenschliche Entfremdung, während „Watch Me Disappear“ das Ausgeliefertsein an äußere Umstände thematisiert. Beide Songs wirken wie zwei Kapitel derselben inneren Chronik: eine Auseinandersetzung mit Selbstverlust, emotionaler Taubheit und dem Versuch, sich aus dysfunktionalen Mustern zu befreien. Es ist, als entfalte sich eine Parallelwelt, die nicht berührt werden kann – nur beobachtet, fragmentarisch, durch das Prisma eines Ichs, das sich selbst zu entrinnen versucht.
Rosa Anschütz entfaltet mit „Sun Tavern“ ein minimalistisches und dennoch intensives poetisches Fragment, das sich wie ein innerer Monolog anfühlt: voller Sehnsucht, Schmerz und emotionaler Überforderung. Rosa Anschütz behandelt darin die zerstörerische Intensität einer Beziehung, die zwischen Hingabe und Erschöpfung pendelt. Mit Mehrdeutigkeit und körperlichen Bildern entzieht sich der Song jeder romantischen Verklärung – einem Liebeslied, das sich selbst widerspricht und dabei tief aus ihrem Inneren zu sprechen scheint.
Diese radikale Innenschau setzt sich im Abschlusssong von „Sabbatical“ fort – einem stillen, eindringlichen Statement über emotionale Sprachlosigkeit und die Unfähigkeit, Nähe zuzulassen. Rosa Anschütz beschreibt im „Swan Song“ ein Ich, welches zwischen Scham, Misstrauen und unterdrückter Liebe taumelt – begleitet von einem mantraartigen „There’s always a way“, das Hoffnung und Resignation zugleich trägt. Ein offenes Ende, das nicht erlöst, sondern bestehen lässt.
Am Ende ist „Sabbatical“ ein Versuch der Heilung. Ein Album, das feierlich, verletzlich und voller Kraft durchlebt werden will. Rosa Anschütz formte aus ihrem Inneren ein musikalisches Ritual, in dem selbst die isoliertesten Gefühle ihren Weg zurück in die Zwischenräume unserer Beziehungen finden. Nicht als Antwort, sondern als Bewegung – getragen von ihrem inneren Echo, das sich in einem musikalischen Raum für Verletzlichkeit entfaltet.
Wertvolle Links:
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