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Ellereve – Umbra
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Ellereve – Umbra

Ellereve veröffentlicht mit „Umbra“ ein Werk, das sich nicht mit bloßer Ästhetik begnügt, sondern tief in die Zwischenräume des Selbsts vordringt. Der Titel, lateinisch für „Schatten“, steht für die bewusste Auseinandersetzung mit jenen Anteilen der Persönlichkeit, die oft im Verborgenen bleiben. Ellereve beschreibt „Umbra“ als einen Ort zwischen Bewusstem und Unbewusstem, an dem man sich selbst in vielschichtiger und unverstellter Form begegnet.

Hinter dem Projekt steht die Multiinstrumentalistin Elisa Giulia Teschner, die inmitten der majestätischen Alpenkulisse bei Innsbruck lebt. Dort formt sie meist nachts einen Sound, der von intensiver Innerlichkeit und sehnsuchtsvoller Weite geprägt ist. Ihre Musik klingt wie ein Echo zwischen Fels und Nebel, Verletzlichkeit und Stärke.

Klanglich markiert „Umbra“ eine deutliche Weiterentwicklung gegenüber des Debütwerkes „Reminiscence“. Während zuvor eine melancholische Rückschau dominierte, richtet sich der Blick nun auf das Jetzt. Die Shoegaze-Wurzeln bleiben spürbar, werden jedoch durch düstere Texturen aus Doom und Post Black Metal ergänzt. Blast Beats, Screams und eine neue Direktheit verleihen dem Album eine ungeschönte Energetik. Ellereve beschreibt diesen Schritt als bewusste Öffnung in ein unbekanntes Terrain, als Ausdruck innerer Zerrissenheit und künstlerischer Befreiung.

„Umbra“ ist Tagebuch, Selbstporträt und Aufbruch zugleich. Emotionen werden nicht bloß thematisiert, sondern durchlebt. Für Elisa war es besonders wichtig, Gefühle wie Trauer, Wut und innere Zerrissenheit intensiver und brachialer auszudrücken. Songs wie „The Veil of Your Death“ oder „Unravel“, letzterer gemeinsam mit David „Eklatanz“ Conrad, wirken wie klanggewordene Prozesse auf einem schmerzhaften, aber notwendigen Weg zur Heilung.

Der Opener „An Avalanche of Shudders“ entfaltet sich innerhalb der ersten Minute aus dunklen Streichern heraus und wächst zu einem aufziehenden Sturm heran, der die innere Unruhe in Klang übersetzt. Ellereve nimmt dich an die Hand und taucht mit dir in unbekannte Gewässer, während der heulende Wind ruft und der Moment sich wie ein flüchtiger Besitz anfühlt. Die Zeilen zeichnen das Bild eines Weges durch Dornen, mit blutenden Händen und einem versteinerten Herzen, welches den Schmerz, den Widerstand und das Schweigen ihrer unerzählten Geschichten versinnbildlicht. Der Song beschreibt den Auftakt zu einem Zyklus aus Erinnerung, Verlust und der Suche nach Wahrheit. Er wirkt wie ein Tor zu einem Album, das sich langsam, sowie knarzend öffnet.

Zu einem vollständigen Abstieg in die Schattenwelt der eigenen Seele vertieft sich „Crawl“. Laut Ellereve ist dieser Song eine klangliche Verkörperung dieser Schwere. Es geht um die eigene Dunkelheit, um jene Melancholie, die wir alle in unterschiedlicher Gestalt in uns tragen. Manchmal drängt sie sich nach vorn, gewinnt Überhand, bis man sich ihr beinahe ergibt. Dann legt sie sich schleichend wie eine unsichtbare Last auf Herz und Schultern, schwer genug, um selbst den Atem zu beschweren. Doch der Kampf beginnt genau in dem Moment, in dem man sich aus dieser Schwere befreien will. Wenn man sich gegen das Einsinken in die Dunkelheit auflehnt und beginnt, nach Licht und Klarheit zu greifen.

Ein berührender Moment auf „Umbra“ ist der Song „Irreversible“. In poetischen Versen erzählt Ellereve von einer Verbindung, die einst von Licht durchzogen war und nun in der Dunkelheit des Abschieds verblasst. Der Text reflektiert die schmerzhafte Erkenntnis, dass Vergebung nicht immer möglich ist, wenn Verantwortung verweigert und Wunden ignoriert werden. Dennoch bleibt ein leiser Hoffnungsschimmer: die Möglichkeit einer Wiederbegegnung in einem anderen Leben. „Irreversible“ steht exemplarisch für Ellereves Fähigkeit, komplexe emotionale Prozesse in eine Sprache zu übersetzen, die zugleich zart und unerschrocken ist. Es ist ein Abschied voller Würde – getragen von der Hoffnung, irgendwann durch die Augen von Liebe und Gnade gesehen zu werden.

Besonders eindrucksvoll verdichtet sich Ellereves künstlerische Vision im letzten Song des Albums. „Trauma“ wirkt wie ein Ritual der Befreiung und setzt die fragile Desorientierung nach dem Überleben eindringlich in Szene; und öffnet einen stillen, inneren Raum zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir durchlebt haben. In diesem Zwischenzustand flackert Identität und Erinnerungen hallen wie Echos älterer Erfahrungen nach. Die zentrale Frage bleibt: Welche Gedanken gehören wirklich mir und welche sind bloß Schatten vergangener Verletzungen? Musikalisch entfaltet sich „Trauma“ als langsame Innenschau, die sich in Wellen aus Bass, Synths und Post-Metal-Gitarren entlädt. Treibende Drums und eine spürbare Intensität tragen den Song bis unter die Haut.

Mit „Umbra“ hat Ellereve ein Album geschaffen, das sich den Schattenseiten der eigenen Gefühlswelt stellt, ohne sie zu verdrängen. Schmerz, Angst, Verlust und innere Zerrissenheit werden nicht als Schwäche dargestellt, sondern als integraler Teil der menschlichen Erfahrung. Besonders berührend ist das für jene, die sich den eigenen Schatten stellen und wissen, wie viel Kraft es dazu braucht.

Man kann Ellereve als seltenes Juwel bezeichnen, denn ihre Stimme fließt durch die Musik wie dunkles Licht. Ob umhüllend oder durchdringend – sie lässt ein Licht in „Umbra“ leuchten, gerade dort, wo es am dunkelsten ist.


Wertvolle Links:

Meine Vinyl: unterstützt auf Startnext: 180g blue smoke Vinyl (erscheint über Eisenwald ab dem 14.11.25 – Ich freue mich riesig auf die Platte und auf das kleine „Gemälde“.)