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Jahrund – Fiction World, Time Bleeds Away, The Loony Bin und Delirium
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Jahrund – Fiction World, Time Bleeds Away, The Loony Bin und Delirium

Jahrund entwirft elektronische Musik, die weit über reine Klangästhetik hinausgeht. Ihre Songs sind vibrierende Synth-Energien, die aus einer tiefen Faszination für die Geheimnisse unseres Planeten und die unendlichen Weiten des Universums entstehen. Wer Jahrund hört, kann spüren, dass sie nicht einfach nur Songs produzieren, sondern ihr eigenes Mikro-Universum erzeugen.

Das Duo versteht sich weniger als klassische Band und mehr als kreatives Kollektiv, welches Klang, Emotion und Vision miteinander verschmelzen lässt. Die kosmischen Sounddesigner hinter dem Projekt sind Ekaterina Elterman und Vladimir Vanyan, die seit vielen Jahren daran arbeiten, eine musikalische Welt zu erschaffen, die bedingungslos ihre innere Realität, wie auch ihre Überzeugungen, ihre Prinzipien, ihre Sicht auf die Menschheit und das Universum widerspiegeln.

Jahrunds Musik ist geprägt von pulsierenden elektronischen Texturen, düsteren, poetischen Untertönen, dramaturgisch aufgebauten Geschichten und einer starken visuellen Komponente, die sich in ihren hochwertigen Musikvideos offenbart.

Jeder Song ist eine Erzählung, die aus den Tiefen von Seele und Verstand der Künstler stammt. Die Hörenden werden nicht nur Zeugen dieser Geschichten – sie werden zu Protagonisten, die mitten in die Handlung eintauchen, wo sie von einem Klangraum umgeben sind, der wie ein eigener Kosmos wirkt.

Die Vision hinter ihrer Musik verbindet zwei große Themenwelten: die Astronomie und die menschliche Existenz. Ihre Texte und Konzepte kreisen um Fragen wie: Was bedeutet es, in einem Universum zu leben, das voller Sterne, Planeten und unvorstellbarer Distanzen ist? Welche Rolle spielt die Menschheit in diesem gigantischen Gefüge? Wie gehen wir mit unserem eigenen Planeten um – und welche Zukunft bleibt uns?

Das Duo verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse über die unvorstellbare Größe des Universums mit einer klaren Botschaft: Trotz Milliarden von Sternen und zahllosen Planeten bleibt die Erde unser einzig bewohnbarer Zufluchtsort – und genau dieser ist durch Umweltzerstörung und menschliche Gier bedroht. Während das Universum unzugänglich bleibt und die Sonne in ferner Zukunft die Erde vernichten wird, zeigt die Band, dass die Menschheit schon heute Schwierigkeiten hat, verantwortungsvoll mit ihrem einzigartigen Planeten umzugehen.

Diese Gedanken verpacken Jahrund in emotionale Klangwelten, die ein Appell, ein Spiegel und eine Warnung zugleich sind, ohne die Hoffnung zu verlieren, dass Kunst Menschen berühren und verändern kann. Die visuellen Werke erweitern die Geschichten der Songs, schaffen zusätzliche Ebenen und verstärken die Atmosphäre. Die Videos sind cineastisch, detailreich und oft ebenso rätselhaft wie die Musik selbst. Sie wirken wie Fenster in alternative Realitäten oder auch wie Fragmente einer Zukunft, die wir vielleicht nie erreichen werden. Und „Fiction World“ thematisiert diese fragile Stellung der Menschheit im Universum, sowie die Illusion, wir hätten unendlich viel Zeit.

Damit eröffnet der Opener „Vestige“ mit langsam, pulsierenden Synthflächen das Album, welcher von einem einsamen Wanderer erzählt, der durch die unendliche Dunkelheit des Alls treibt. Der Song verbindet kosmische Bilder mit tiefen menschlichen Gefühlen: Verlassenheit, Hoffnung und die Sehnsucht nach Verbindung. Jener steht symbolisch für die Menschheit, die ins Unbekannte aufbricht, ohne zu wissen, ob irgendwo jemand zuhört.

„Stranger Voices“ beschreibt einen Zustand, der sich in innerer Dunkelheit verliert und von psychischer Bedrohung und Zerfall heimgesucht wird. Die wiederkehrenden fremden Stimmen werden Teil ihres Wesens, während Angst und Halluzinationen die Wahrnehmung dominieren. Das verzerrt-intensive Stück inszeniert einen intensiven Abstieg in eine verzerrte Innenwelt, in der Akzeptanz und Bedrohung ineinanderfließen.

Die Lyrik zu „Silence Screams“ zeichnet das Bild einer bedrohlichen, ausweglosen Umgebung, in der Orientierung und Sicherheit zerfallen. Eine unheimliche Stimme wirkt wie eine innere oder äußere Macht, die festhält, während Angst, Verlorenheit und Wiederholung den Zustand bestimmen. Die Protagonisten erscheinen wie gefangene Wesen, die im Kreis laufen und keinen Ausweg finden. Am Ende verschlingt die Dunkelheit jede Hoffnung, wo nur der Herzschlag als letztes Echo in ihrer Existenz bleibt.

Der Song zu „The Fading Planet“ zeichnet das Bild einer Welt, die unaufhaltsam zerfällt. Gefühle sind abgestumpft oder verkauft, während man versucht, jemanden festzuhalten, der im Verschwinden begriffen ist. Die apokalyptischen Bilder einer brennenden, entleerten Erde spiegeln den inneren Verlust wider. Am Ende bleibt das Bewusstsein, dass sowohl die Beziehung als auch der Planet selbst ihrem Ende entgegengehen.

„Fragile World“ handelt von einer Welt am Rand des Verschwindens, in der Vergangenheit und Zukunft gleichermaßen zerbrechlich wirken. Die Leere steht sinnbildlich für den möglichen Verlust von allem, was vertraut war, während zugleich die Erkenntnis wächst, dass Frieden ein empfindliches, leicht zerbrechendes Gut ist. Dennoch öffnet sich ein Hoffnungsmoment: Wenn Mauern fallen und Menschen einander wirklich zuhören, könnte ein neuer Anfang möglich werden.

Ihre Musikvideos intensivieren die düstere, faszinierende synthetisch erklingende Atmosphäre ihres Schaffens; auch jene, die nach „Fiction World“ entstanden sind. Songs wie „Hydrogen Lines“, „Jahrund“ oder „Earth“ sind instrumentale Seligkeiten, die die kühle Ästhetik des Albums in ein warmes, schimmerndes Licht tauchen. Nicht nur der Song „Jahrund“ steht für jene unentdeckte innere Stärke, die in jedem Menschen brodelt und darauf wartet, geweckt zu werden. Auch der Name der Band trägt diese Leuchtkraft in sich. Genau diese Kraft rufen sie mit ihrer Musik hervor, die uns in eine alternative Realität voller Schatten, Tiefe und pulsierender Energie führt.

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Mit ihren jüngsten Veröffentlichungen schlagen Jahrund ein anderes Kapitel auf, das noch unmittelbarer, verletzlicher und emotional roher wirkt. Denn während „Fiction World“ oft von abstrakten, kosmischen Bildern geprägt war, richten folgende – von mir liebevoll auserwählten – Songs den Blick radikal nach innen: auf seelische Erschütterungen, innere Kämpfe und die fragile Balance zwischen Zusammenbruch und Selbstbehauptung. Jeder Song öffnet ein anderes Fenster in eine psychische Landschaft, in der Schmerz, Mut, Isolation und Widerstandskraft untrennbar miteinander verwoben sind. Die Videos verstärken diese Intensität, indem sie die inneren Zustände nicht nur erzählen, sondern körperlich spürbar machen.

„Time Bleeds Away“ (VÖ: Oktober 2025)

Ihr jüngster Song mit Gesang, begleitet von einem eindringlichen Video, „Time Bleeds Away“, erzählt von einem inneren Kampf zwischen Schmerz, Mut und dem Wunsch, sich selbst wiederzufinden. Das lyrische Ich versucht, in die verschlossenen, düsteren Gedanken eines anderen einzutauchen und die verborgene Lebensenergie darin zu berühren. Immer wieder stellt der Text die Frage, warum Schmerz verschwiegen und Mut unterdrückt wird. Dies gilt als ein Appell, sich zu öffnen und die eigene Stärke nicht zu verleugnen. Zwischen Traum, Leere und einem verzweifelten Schrei entsteht ein Moment der Klarheit: Das Leben ist einzigartig, und niemand außer uns selbst darf bestimmen, wie wir es leben.

„The Loony Bin“ (Juli 2025)

„The Loony Bin“ zeichnet das Bild eines Menschen, der nach langen Zeiten der Manipulation, Lügen und innerer Zerrüttung an einen Punkt völliger Erschöpfung gelangt ist. Die Schreie im Video verstärken das Gefühl eines psychischen Zusammenbruchs, der zugleich Befreiung und Kapitulation bedeutet. Die beschriebene „Einrichtung“ erscheint wie ein paradoxes Paradies: ein Ort, an dem äußere Kontrolle und innere Leere aufeinandertreffen, aber auch ein Raum, in dem Ruhe, Frieden und ein trügerisches Gefühl von Sicherheit möglich werden. Zwischen resignierter Stille und verzweifelter Sehnsucht nach Entlastung entsteht ein beklemmendes Bild von jemandem, der in einer künstlichen Zuflucht Zufriedenheit findet, weil die Welt draußen zu schmerzhaft geworden ist.

„Delirium“ (Mai 2025)

In „Delirium“ geht es ebenfalls um den Zustand tiefer innerer Erschöpfung und emotionaler Überforderung. Die Welt erscheint leer, laut und zugleich unerreichbar, während Gedanken, Geräusche und Einsamkeit sich zu einem bedrückenden Strudel verdichten. Immer wieder taucht der Wunsch auf, dem Druck zu entkommen, was nichts mit Aufgeben zu tun hat, sondern ein verzweifeltes Bedürfnis nach Ruhe, Klarheit und einem Moment des Atmens beschreibt. Zwischen flackernden Bildern von Isolation, höhnischem Spott und einer feindseligen Umgebung wächst dennoch ein Funken Widerstand, die Überzeugung, dass das Böse fällt, dass Wunden heilen und dass die eigene Seele trotz aller Dunkelheit noch fähig ist, sich zu erheben. So wird „Delirium“ zu einem intensiven Porträt innerer Zerrissenheit und zugleich zu einem stillen Zeugnis von Überlebenskraft im Chaos. Gedreht wurde das Video in der Alten Schutzengelkirche in Gräfendorf im fränkischen Saaletal, einem idealen Ort für künstlerisch eindrucksvolle Aufnahmen. [Quelle: https://www.main-echo.de/unser-echo/gruppen/Foerderverein-Alte-Schutzengelkirche-Graefendorf;verein0,6138,B::sakrale-stille-trifft-elektronische-klaenge-art-8505459]


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Meine Vinyl: in deren Shop bestellt – denn einmal online gehört – nie wieder losgelassen – musste ich haben: Classic Black Vinyl – ABER:Um eine optimale Klangqualität und einen optimalen Dynamikumfang zu gewährleisten – und um den einzigartigen Charakter des Vinylformats zu würdigen – wurden zwei Titel, „Posterity of Stellar Wind“ und „Shifted Axis“, bewusst aus dieser Ausgabe weggelassen.“ Somit umfasst das Album auf Vinyl „nur“ 9 anstatt der 11 Songs!