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Celestielle im Interview
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Dark Diamonds Interviews

Celestielle im Interview

Mit ihrer EP „Requiem“ zieht Celestielle in einen Rachezug gegen patriarchale Strukturen. Zwischen Black‑ und Doom‑Metal, liturgischer Schwere und kathartischer Befreiung erschafft die Künstlerin, Multiinstrumentalistin und Komponistin einen Klangraum, der zugleich Ritual und Revolte ist.

Im Interview öffnet sie diesen Prozess: Sie spricht über Wut als schöpferische Kraft, über patriarchale Gewalt, über die Bedeutung feministischer Geschichtsschreibung und über Hexenzirkel als Orte tiefer Solidarität. Vor allem aber erzählt sie davon, wie sie sich durch das Schreiben dieser Songs Stück für Stück ihre Stimme zurückerobert hat.

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  • Hi, erstmal herzlichen Glückwunsch zu EP. Wie fühlst du dich gerade? Zumal „REQUIEM“ wie ein Akt der Selbstermächtigung wirkt.

Vielen Dank! Puh … das fühlt sich alles gerade ziemlich überwältigend an. Ich hatte noch gar nicht richtig Zeit, das Ganze zu realisieren, weil ich mich so lange und so intensiv mit dieser EP beschäftigt habe. Die letzten Wochen vor dem Release waren extrem arbeitsreich. Ich war total im Tunnel. Jetzt, nach der Veröffentlichung, setzt langsam die Euphorie ein. Und mit ihr kommt auch das Bewusstsein dafür, was ich da eigentlich geschaffen habe – und dass das wirklich komplett aus mir heraus entstanden ist. Letztendlich habe ich diese EP bis auf Drums, Mix, Master und einige Gastinstrumente komplett alleine in meinem kleinen Kämmerchen geschrieben und aufgenommen. Es war also ein super individueller und introspektiver Prozess, in dem ich mir selbst wirklich zeigen konnte, wer ich bin.

  • Wann hast du gemerkt, dass dieses Projekt für dich mehr ist als Musik – nämlich ein persönlicher Befreiungsprozess?

Eigentlich von Anfang an. Musik hat mich schon immer auf eine sehr tiefe Art berührt – auf eine Weise, die ich kaum in Worte fassen kann. Beim Black- und Doom-Metal ging das besonders schnell. Was diese Genres für mich so befreiend gemacht hat, war vor allem der DIY-Gedanke: Dieser enorme Perfektionsdruck, den ich mir selbst lange auferlegt habe, ist plötzlich weggefallen. Ich habe mich zum ersten Mal getraut, einfach drauflos zu experimentieren, wild zu mischen und mich nicht an feste Strukturen halten zu müssen. Daraus sind sehr schnell spannende Dinge entstanden. Der größte Befreiungsschritt war für mich aber, Dinge über die Figur Celestielle auszudrücken – und dadurch Gedanken und Gefühle auszusprechen, die ich mich als Michelle vielleicht noch nicht getraut hätte

  • „Crucify Him“ eröffnet die EP mit einer enormen Wucht. Was hat dich dazu bewegt, gerade diesen Song an den Anfang zu stellen, und welche Bedeutung hat er für den emotionalen Bogen der gesamten EP?

„Crucify Him“ ist für mich ein ganz besonderer Song. Er markiert den Beginn des Requiems: das Einläuten der schwarzen Messe. Gerade am Anfang arbeitet die EP stark mit liturgischen Elementen, die fast an eine klassische Fuge erinnern. Dann setzen die Rhythmusgitarren und die ersten choralen Gesänge ein.

Der Song ist zwar relativ kurz, geht für mich aber weit über ein simples Intro hinaus. Seine Intensität ist dafür einfach zu relevant. Die Lyrics sind bewusst sehr reduziert gehalten – sie sind mir genauso, wie sie sind, plötzlich aus mir herausgesprudelt. Und dieses Gefühl war so stark, dass sich der Song für mich wie eine verdichtete Zusammenfassung dessen anfühlt, was später noch folgt – nur eben noch weiter ausdifferenziert. Wer „Crucify Him“ hört, weiß ziemlich schnell, was einen erwartet – klanglich, aber vor allem auch inhaltlich.

  • In „Beyond the Cursed“ geht es um Konfrontation mit inneren und äußeren Dämonen. Wie bist du beim Schreiben dieses Songs an die Balance zwischen persönlicher Verletzlichkeit und musikalischer Härte herangegangen?

Ich glaube, es brauchte eine gewisse Abkapselung von mir selbst – in Form einer künstlerischen Figur –, um überhaupt so tief an meine Gefühle heranzukommen. Verletzlichkeit und musikalische Härte schließen sich für mich hier nicht aus, im Gegenteil: Der Song ist stark von Wut getragen, und genau diese Emotion verbindet beides.

„Beyond the Cursed“ ist besonders vielschichtig. Am Anfang geht es darum, wie äußere Einflüsse das eigene Selbstbild prägen – Stichwort Sexualisierung. Der Mittelteil beschäftigt sich mit Verarbeitung dieser Gedanken und auch mit Rachefantasien. Und dann gibt es dieses Ende, das auf der EP etwas ganz Besonderes ist: Es geht um Hoffnung. Um die Idee, dass man selbst nach schrecklichen Erfahrungen wieder Hoffnung schöpfen kann – und dass man nicht allein ist.

  • „The Huntress“ wirkt wie eine Hommage an weibliche Widerstandskraft und historische Ungerechtigkeiten. Welche Bilder oder Geschichten haben dich zu dieser Figur inspiriert, und warum war es dir wichtig, sie in die EP einzubetten?

Inspiriert wurde „The Huntress“ vor allem von Geschichten, die direkt um mich herum passiert sind. Von patriarchalen Ungerechtigkeiten, die ich selbst erlebt habe, aber vor allem von furchtbaren Dingen, die Menschen widerfahren sind, die mir sehr nahestehen. Zum ersten Mal habe ich dabei eine echte Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen Strukturen gespürt und realisiert, wie oft Opfern nicht geholfen wird.

In den letzten Jahren ist mir strukturelle Benachteiligung immer bewusster geworden, und damit auch mein Interesse an Feminismus und seiner Geschichte. Die Hexenverfolgung ist dabei ein zentraler Punkt, den man nicht ignorieren darf: Frauen wurden allein aufgrund ihres Geschlechts ermordet. Gleichzeitig sind Frauen* für mich unfassbar beeindruckend. Was wir alles leisten – oft trotz schlechterer Ausgangsbedingungen.

Wir leben in einer Gesellschaft, die den weiblichen Zyklus tabuisiert, obwohl er für viele Menschen regelmäßig mit enormen Schmerzen einhergeht. Und von der Stärke von Müttern und Geburten will ich gar nicht erst anfangen. Für mich ist jetzt endlich die Zeit gekommen, Hexen und Hexenzirkel positiv zu besetzen. Hexen waren letztlich Frauen, die authentisch leben wollten. Und Hexenzirkel stehen für Freundschaften zwischen FLINTA*-Personen – Verbindungen, die ich in meinem Leben über alles schätze.

  • ***Oh ja …Ich darf zum Beispiel keine Dokus oder ähnliches über „Hexen“-Verfolgungen sehen, ohne, dass etwas gegen den Bildschirm fliegt oder ich lautstark am Wut spucken bin. So wie ich dies schreibe, brodelt es in mir. Zurück zur EP: Das titelgebende „Requiem“ arbeitet mit starken, metaphorischen Bildern von Rache und Transformation. Wie findest du die Grenze zwischen künstlerischer Symbolik und persönlicher Erfahrung, ohne dass der Song zu explizit oder zu distanziert wird?

Diese Grenze habe ich nie bewusst gezogen. Wenn ich an „REQUIEM“ denke, sehe ich eher ein Märchen oder einen Film vor mir – eine Szene, ein Bild. Also Fiktion. Trotzdem habe ich meine Gedanken völlig ungefiltert aufgeschrieben. Geschrieben aus der Perspektive von Celestielle, die eine übermächtige Position einnimmt. Das hat mir geholfen, wirklich unbarmherzig zu denken und aus purer Wut heraus zu schreiben – nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, vielleicht sogar im Sinne von Karma. Als wäre Rache in diesem Märchen ein physikalisches Gesetz. Ähnlich wie der Sensenmann in Geschichten erscheint, wenn jemand stirbt: Wenn patriarchale Gewalt passiert, dann erscheint in dieser Welt eine übermächtige Kreatur, hier verkörpert durch Celestielle.

  • Du sagst, niemand könne dir nehmen, was du dir selbst erarbeitet hast. Das klingt nach einem langen Kampf und nach Momenten, in denen dir genau das abgesprochen wurde. Welche Erfahrungen haben dich geprägt – und wie hat dieser Weg dein Selbstverständnis als Künstlerin und als Frau verändert oder vielleicht sogar neu geformt?

Ich bin mit relativ traditionellen Rollenbildern um mich herum aufgewachsen, die mir früh vermittelt haben, was von Frauen erwartet wird. Gerade in der Metalszene – insbesondere im Black Metal, der stark männlich geprägt ist – kann es schwierig sein, seinen Platz zu finden.

Ich hatte aber auch viel Glück: Ich durfte immer so sein, wie ich bin, und habe viel Unterstützung erfahren. Menschen haben an mich geglaubt und nie daran gezweifelt, dass ich Künstlerin sein kann. Umso frustrierender ist es, zu sehen, dass Frauen bis heute oft nicht ernst genommen werden. Und das fängt bei Kleinigkeiten an: Ich habe die Songs geschrieben – und trotzdem werden bei Interviews oder Konzerten die Männer meiner Liveband nach Details gefragt. Gleichzeitig ist meine Bewunderung für Frauen über die Jahre enorm gewachsen. Besonders durch Bands wie Witch Club Satan wurde mir klar, wie viel Wut Frauen in sich tragen – und wie ehrlich und kraftvoll daraus Kunst entstehen kann.

Weiblichkeit ist unglaublich facettenreich. Ganz ehrlich: Wenn Männer mal verstehen würden, was es heißt jeden Monat einen schmerzhaften Zyklus auszuhalten und das Gefühl zu haben, dass der eigene Körper einen von innen zerreißt (Ich schreibe das gerade am ersten Tag meiner Periode nach einer heftigen Krampfattacke). Der weibliche Körper ist ein absolutes Wunder.

  • ***Ja das stimmt. Bei mir geht’s – Dank meiner Ernährungsumstellung. Zuvor bekam ich Fieber, starke Krämpfe und hatte innere wie auch äußerliche Erschöpfungszustände. Doch zurück: Wenn du auf die sechs Songs zurückblickst: Gibt es einen Moment oder eine Zeile, in der du besonders stark gespürt hast, dass du dir deine Stimme zurückeroberst?

Davon gab es viele Momente. Aber besonders stark habe ich es bei den explizitesten Zeilen gespürt. Dort, wo Rachefantasien ganz offen ausgesprochen werden. Am stärksten ist das für mich bis heute in „Crucify Him“: “Nail his body to the wood, let him suffer, let him bleed, make him pay for his sins, so he’ll never touch a body anymore.”

(„Nagelt seinen Körper ans Holz, lasst ihn leiden, lasst ihn bluten, lasst ihn für seine Sünden bezahlen, damit er nie wieder einen Körper anfasst.“)

***Vielen lieben Dank für deine Zeit und das tolle Interview<3


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Titelbild: Lina Welsch