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Ellereve – Interview und Trauma
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Dark Diamonds Interviews

Ellereve – Interview und Trauma

Mit „Umbra“ taucht Ellereve tiefer denn je in die Zwischenräume des Selbst. Ihr neues Album ist kein bloßes musikalisches Statement, sondern ein klanggewordener Prozess – roh, vielschichtig und zutiefst persönlich. Wo ihr Debüt „Reminiscence“ noch in melancholischer Rückschau verweilte, konfrontiert „Umbra“ das Jetzt: ein Ort, an dem Dunkelheit nicht verdrängt, sondern durchlebt wird, um daraus etwas Echtes zu formen.

Im Interview erzählt Ellereve von Schatten als Spiegel, von nächtlicher Kreativität und der bewussten Öffnung zu mehr Härte und Direktheit. Sie spricht über Blast Beats, biografische Brüche und die Kraft, sich selbst in der Musik zu begegnen. Zwischen Shoegaze, Doom und Post Black Metal entsteht ein Klangraum, der nicht kategorisiert werden will – sondern gespürt.

„Umbra“ ist Tagebuch, Katharsis und künstlerischer Aufbruch zugleich. Und es ist ein mutiges Statement einer unabhängigen Musikerin, die sich nicht nur musikalisch, sondern auch strukturell gegen die Schwerkraft der Szene behauptet.

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  • Hi Elisa, „Umbra“ bedeutet Schatten – was hat dich zu diesem Titel inspiriert?

„Umbra“ steht für den Schatten als Spiegel des Selbst. Für mich geht es darum, all die Anteile anzunehmen, die uns ausmachen – auch die, die wir oft im Verborgenen halten.

Mich hat die Idee fasziniert, dass Schatten nicht nur Abwesenheit von Licht sind, sondern Ausdruck von Tiefe. „Umbra“ ist dieser Raum zwischen Bewusstem und Verborgenen – ein Ort, an dem man sich selbst begegnet, unverstellt und vielschichtig.

  • Wie unterscheidet sich „Umbra“ klanglich und thematisch von deinem Debüt „Reminiscence“?

Das Leben ist ein ständiger Wandel und mit ihm verändern auch wir uns, unsere Wahrnehmung, unsere Emotionen, unser Ausdruck. „Umbra“ ist das Resultat dieser Bewegung. Während „Reminiscence“ rückblickend und fast nostalgisch in die Vergangenheit schaut, ist „Umbra“ eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Jetzt – mit dem, was bleibt, wenn sich alles andere verändert.

Klanglich hat das Album definitiv mehr Metal Einflüsse und Texturen aus Genres, die ich selbst gern höre, wie Post Black Metal, aber auch Doom. Die Shoegaze Note bleibt weiterhin vorhanden und ich glaube alles zusammen ergibt einfach das, wofür meine Musik steht – zumal ich mich nicht gern auf eine Musikrichtung beschränke.

  • Ich durfte bereits in das komplette Album eintauchen – Danke nochmal für dein Vertrauen! „Umbra“ ist für mich kein resigniertes Album, sondern ein Prozess, in dem Dunkelheit durchlebt wird, um etwas Echtes zu formen. Was spiegelt dieses Album für dich persönlich wider – was hast du darin von dir selbst entdeckt?

„Umbra“ ist sowohl philosophisch als auch biografisch inspiriert geschrieben. Es ist ein Tanz zwischen Kollaps und Katharsis, zwischen Schmerz und Befreiung.

Dieses Mal war es mir besonders wichtig, Emotionen wie Trauer, Wut oder innere Zerrissenheit intensiver und brachialer auszudrücken, etwa in Songs wie „The Veil of Your Death“ oder „Unravel“. Blast Beats und Screams waren dabei für mich neues Terrain, ein bewusster Schritt in unbekannte Gefilde. Diese Öffnung hin zu mehr Härte und Direktheit war ein spannender Entwicklungsschritt in meinem kreativen Prozess.

  • „Umbra“ wirkt wie ein sehr persönliches Werk – fast wie ein Tagebuch in Klangform. Gab es einen Punkt im Entstehungsprozess, an dem dir klar wurde, dass „Umbra“ mehr ist als Musik – sondern ein Teil von dir, den du am 7. November mit allen teilst?

Meine Musik war schon immer persönlich – sie trägt die Spuren meiner Gedanken, Erfahrungen und Emotionen. Auch bei „Umbra“ ging es mir nie darum, etwas zu konstruieren, sondern darum, etwas Echtes zu empfinden und hörbar zu machen. Vielleicht entsteht genau daraus diese Nähe, dieses „Tagebuchhafte“.

  • Du hast uns bereits die ersten Einblicke für dein neues Kapitel gegeben und Songs wie „Crawl“, „The Veil of Your Death“ (feat. Michael J.J. Kogler) und „Unravel“ (feat. David „Eklatanz“ Conrad) veröffentlicht. Warum hast du dich gerade für diese Songs entschieden?

Bei „Crawl“ war mir sofort klar, dass ich dazu unbedingt ein Musikvideo machen möchte. Ich wollte die Welt gleich zu Beginn mit dieser neuen Energie konfrontieren – mit dem, was sich in meinem Sound und Ausdruck verändert hat. Der Song markiert für mich den Übergang, dieses bewusste Öffnen hin zu etwas roherem, dunklerem und direkterem.

Auch „The Veil of Your Death“ und „Unravel“ passen genau in diesen Kontext. Sie zeigen verschiedene Facetten dieser Entwicklung – mal verletzlich, mal wütend, mal kathartisch. Zusammen zeichnen sie ein ziemlich ehrliches Bild davon, wohin sich meine Musik mit „Umbra“ bewegt.

  • Ist es noch immer so, dass du oft nachts schreibst? Was passiert in diesen Momenten, wenn du allein mit deiner Musik bist?

Ja 🙂 nachts finde ich am besten zur Ruhe. In der Stille, im Dunkel, entsteht ein anderer Fokus – alles um mich herum verblasst, und ich bin nur noch mit der Musik. Es fühlt sich dann an, als würde die Welt kurz den Atem anhalten, und ich kann ganz eintauchen in das, was gerade entstehen will.

  • Wie war die Zusammenarbeit mit Salomon Appiah und Markus Stock bei Produktion und Mastering?

Es war großartig! Salomon ist ein langjähriger Freund, mit dem ich bereits an meiner EP und meinem Debütalbum gearbeitet habe. Ich finde es immer ein bisschen amüsant, wenn die Presse recherchiert und dann feststellt, dass er bisher hauptsächlich mit Rappern wie Marteria oder Sido zusammengearbeitet hat, als würde das bedeuten, dass seine Kreativität auf dieses Genre beschränkt wäre. Salomon ist einer der talentiertesten Musiker und Produzenten, die ich kenne. Seine Fähigkeiten reichen von Jazz über Elektro und Hip-Hop bis hin zu Metal. Gerade weil er hier so facettenreich ist, schätze ich die Zusammenarbeit sehr mit ihm.

Markus Stock wiederum ist für seine Arbeiten im Metal-Bereich bekannt, und einige der Alben, die er gemischt hat, liebe ich schon seit Jahren. Wir haben uns letztes Jahr auf Tour kennen gelernt, als ich Support für The Vision Bleak gespielt habe, und dadurch entstand schon eine gewisse Vertrautheit – etwas, das mir bei der Zusammenarbeit sehr wichtig ist.

  • Ich unterstütze dich als Independent-Musikerin ein kleines Weilchen, weil ich weiß, wie viel Mut und Hingabe dieser Weg erfordert. Was wünschst du dir von Hörer:innen, Medien und der Musikszene, um Künstlerinnen wie dich sichtbarer zu machen?

Vielen Dank, Marlene! Ich finde echt großartig, was du mit deinem Blog machst und es war superschön, dass du auch beim Crowdfunding dabei warst und mich unterstützt hast.

[Klar, immer gerne! Bilderrahmen und Plattenspieler warten schon.]

Über die Tantiemen müssen wir wohl erst gar nicht sprechen, das ist ja leider ein bekanntes Thema und oft ziemlich frustrierend. Ebenso schwierig finde ich den Live-Bereich. Seit Corona ist es noch herausfordernder geworden und die Nachwirkungen merkt man immer noch. Viele Locations setzen lieber auf bekannte Namen, weil sie auf Nummer sicher gehen wollen, und der organisatorische Aufwand ist riesig – Technik, Booking, Promotion, alles hängt irgendwie zusammen. Dazu kommt, dass es einfach sehr viel Konkurrenz gibt und die Aufmerksamkeit begrenzt ist. Gerade als Independent-Künstlerin muss man also ständig zwischen Kreativität und Organisationsarbeit jonglieren. Umso mehr freue ich mich über jede Bühne, die sich öffnet, und jede Form von Unterstützung durch Medien oder Hörer:innen.

Vielen lieben Dank für das tolle Interview und viel Erfolg mit „Umbra“!


Songvorstellung „Trauma“

Mit ihrem letzten Singlerelease erkundet Ellereve in „Trauma“ den stillen, oft desorientierenden Raum zwischen dem, was wir sind, und dem, was wir durchlebt haben. Es geht um die Unsicherheit, die dem Überleben folgt: Sind diese Gedanken wirklich meine – oder bloß Echos von etwas Älterem?

Mit seinem atmosphärischen Aufbau entfaltet sich der Song wie eine langsame Innenschau, bevor er in Wellen aus tiefem Bass, aufbrausenden Synths und Post-Metal-Gitarren explodiert, getragen von treibenden Drums. Der Klang schwillt an wie ein innerer Sturm – ein Spiegel des Drucks eines Geistes, gefangen zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Das begleitende Musikvideo wirkt wie ein Ritual der Befreiung: Umgeben von Flammen windet und kämpft sich Ellereve durch das Feuer – ein intensiver Kampf mit den Schatten in ihrem Inneren. Erst wenn die Flammen erlöschen, fällt sie – erschöpft und still. Erwacht in Freiheit, nicht länger im Griff des Traumas.


Wissenswertes:

  • Ellereve auf Tour:

31.10 – Graz – Wakuum (Halloween Festival)

1.11 – Vienna – Venster w / Saturnists & Discure

8.11 – Würzburg – B-Hof w / Ephemeral

11.11 – Munich – Backstage w / Big Brave

18.11 – Stuttgart – JuHa West w / Big Brave

22.11 – Zurich – Dynamo – Squirralypse Festival

  • „Umbra“ erscheint am VÖ: 07.11.2025

Wertvolle Links:

Foto: Moritz Amschlag