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- Hallo Naomi, deine EP beschreibst du als „ein echtes Tagebuch“. Welche Momente oder Gefühle waren für dich so prägend, dass du sie unbedingt musikalisch festhalten wolltest?
Genau, ich nenne die EP „ein echtes Tagebuch“, weil ich die Songs genau in der Reihenfolge geschrieben habe, in der sie später auch erschienen sind, und spiegeln dadurch mein letztes Jahr in Berlin sehr gut wider. Es war eine Zeit voller intensiver Kontraste. Obwohl ich unglaublich tolle Menschen treffen und tolle Freundschaften dort schließen durfte und auch wirklich tolle Momente erlebt habe, hat sich die Stadt nie ganz nach „mir“ angefühlt.
Ich war ständig begleitet von einer Art unterschwelligem Heimweh, nicht nur nach einem Ort, sondern auch nach einer Version von mir selbst, die ich ein bisschen verloren hatte. Berlin hat mich mit seinen Eindrücken und Reizen manchmal überflutet, und in dieser Überforderung ist eine leise Distanz zu mir selbst gewachsen. Ich hatte das Gefühl, auf einer dauerhaften, rastlosen Suche zu sein: nach dem Gefühl des Ankommens, nach innerer Ruhe, nach dem Punkt, an dem sich wieder alles stimmig anfühlt.
Diese Mischung aus Verbindung und Fremdheit, aus Aufbruch, Entdeckung und gleichzeitigem Überfordertsein war für mich so prägend, dass ich sie unbedingt festhalten wollte. Die Songs sind dadurch wie kleine Momentaufnahmen dieser inneren Reise geworden, einzelne Kapitel aus einem Jahr, in dem ich versucht habe, mich selbst wiederzufinden.
- „Ocean Blue“ eröffnet die EP als Intro. Warum hast du dich für dieses kurze, fast mantraartige Stück entschieden, um den emotionalen Raum für die weiteren Songs zu öffnen?
„Ocean Blue“ verkörpert für mich genau diese rastlose, gleichzeitig sehnsuchtsvolle Suche nach einem inneren Ankommen. Das kurze, mantraartige Motiv fühlt sich an wie ein erstes Ausatmen, ein Moment des Innehaltens, bevor man sich auf eine größere emotionale Reise begibt. Ich wollte damit bewusst einen Raum eröffnen, in dem sich dieses Gefühl von Unruhe, Melancholie und Hoffnung ausbreiten kann. Eine Art Auftakt, der die innere Haltung widerspiegelt, aus der die gesamte EP entstanden ist.
Es ist, als würde „Ocean Blue“ den Startpunkt markieren: die erste Welle, die über einen hinwegrollt, bevor man tiefer in die Geschichten und Stimmungen der folgenden Songs eintaucht. Der Rest der EP erzählt dann verschiedene Stationen dieser Reise, aber dieses Intro setzt die Grundfarbe: ein leises, wiederkehrendes Motiv, das spürbar macht, wo alles beginnt.
- In „Crowded Rooms“ geht es um die unsichtbaren Verbindungen zwischen Menschen. Wie schwer war es für dich, Dankbarkeit und Schmerz gleichzeitig in einem Song zu vereinen?
Tatsächlich war es gar nicht so schwer, weil dieser Mix aus Dankbarkeit und Schmerz nicht bewusst konstruiert war, er ist einfach ganz natürlich entstanden. Man würde vielleicht erwarten, dass der Schmerz bei so einem Thema im Vordergrund steht und ich erst später versucht habe, ihm durch Dankbarkeit eine andere Perspektive entgegenzustellen. Aber bei „Crowded Rooms“ war es genau andersherum.
Der allererste Impuls beim Schreiben war die Dankbarkeit. Ich dachte mir: „Verrückt, wie tief man mit jemandem verbunden sein kann, selbst dann, wenn die Person nicht mehr da ist.“ Dieses Gefühl von tiefer Verbundenheit war der Ausgangspunkt.
Der Schmerz kam dann als zweite Welle. Nicht als etwas, das die Dankbarkeit überlagert, sondern als ihr natürlicher Schatten. Denn wenn ein Mensch einmal so viel bedeutet hat, dann existieren beide Emotionen automatisch nebeneinander. „Crowded Rooms“ ist für mich genau dieser Zustand: das stille Wissen, dass jemand fehlt, und gleichzeitig die leise Freude darüber, dass es diese Verbindung überhaupt gegeben hat.
- Mit „Nowhere to go to“ sprichst du die Zerrissenheit junger Menschen zwischen Aufbruch und Halt an. Welche persönlichen Erfahrungen haben diesen Song besonders beeinflusst?
„Nowhere to go to“ ist sehr stark von meinem Umzug nach Berlin geprägt. Für mich war das ein riesiger Schritt, weil ich das Gefühl hatte, dass da draußen so viel passiert, was ich erleben möchte. Ich wollte neue Menschen kennenlernen, in diese bewegte, kreative Szene eintauchen und herausfinden, wo ich darin meinen Platz habe.
Gleichzeitig habe ich aber auch gemerkt, wie schnell einen dieses ständige „immer weiter“ überfordern kann. Gerade in der Musikbranche passiert alles unglaublich schnell. Es geht immer um den nächsten Schritt, die nächste Chance. Und auch privat war viel Bewegung: Freunde ziehen weg, neue kommen dazu, alles verändert sich ständig. Irgendwann fühlt es sich an, als würde nichts wirklich bleiben.
Dieses Hin- und Her hat die EP besonders geprägt: dieses Bedürfnis, Neues zu entdecken und sich weiterzuentwickeln, aber gleichzeitig das starke Verlangen nach etwas, das bleibt. Nach einem Halt, einem Anker, der einem bei all den ständigen Veränderungen ein bisschen Stabilität gibt.
- „Found it“ erzählt von Selbstbestimmung und innerer Stärke. Was bedeutet „etwas gefunden zu haben“ für dich persönlich und wie spiegelt sich dieses Gefühl in deinem Leben außerhalb der Musik wider?
Für mich bedeutet „etwas gefunden zu haben“ vor allem, bei mir selbst anzukommen. Dieses Gefühl, wirklich zu wissen, wo ich sein möchte und was sich für mich richtig anfühlt. Wenn man an einem Punkt ist, an dem man mit sich selbst im Reinen ist und zufrieden damit, was man hat und wo man geradesteht, dann fühlt sich das für mich nach „gefunden“ an. Es bedeutet auch, seinen eigenen Sinn und Weg zu entdecken, statt ziellos herumzusuchen oder sich zwischen Möglichkeiten zu verlieren. Dieses innere Gefühl von: Ja, genau das ist es. Das bin ich. Das sollte ich machen.
Außerhalb der Musik zeigt sich das für mich in vielen kleinen Momenten. In Entscheidungen, die sich stimmig anfühlen. In Beziehungen, die einem guttun. Oder einfach darin, dass sich der Alltag nach zu Hause anfühlt. Dieses Vertrauen, dass ich auf dem richtigen Weg bin, ist ein wichtiger Teil davon und etwas, das ich immer mehr in mir spüre.
- Mit welchem Song hast du am meisten gerungen, diesen umzusetzen – und dennoch gespürt, dass er unbedingt aus deinem Herzen musste?
Am meisten habe ich tatsächlich mit „Crowded Rooms“ gerungen. Auch wenn diese Gegensätze zwischen Trauer und Dankbarkeit beim Schreiben sehr natürlich entstanden sind, war es für mich persönlich schwer, diese Gefühle in dem Moment einzuordnen. Ich wollte diese besondere Mischung unbedingt festhalten und etwas schaffen, das genau dieses Aufeinandertreffen von Emotionen bewahrt. Gleichzeitig war es aber nicht leicht, ständig wieder in diese Gedanken und Gefühle einzutauchen. Es hat das Loslassen ein Stück weit herausgezögert.
Im Nachhinein bin ich aber sehr froh darüber, weil mich dieser Song auf eine ganz besondere Weise begleitet hat. Durch das Schreiben konnte ich viel über mich selbst reflektieren, und heute verbindet mich eine sehr emotionale, wertvolle Zeit mit diesem Lied.
- Was wünschst du dir von Musikaffinen, Medien und der Musikszene, um Künstlerinnen wie dich sichtbarer zu machen?
Ich glaube, es würde vielen Künstler*innen helfen, wenn bestimmte Bereiche der Musikszene insgesamt transparenter gestaltet werden. Zum Beispiel könnten Informationen zu offenen Ausschreibungen oder Songwriting-Camps klarer und breiter kommuniziert werden. Das würde nicht nur Newcomer*innen zugutekommen, sondern generell dazu beitragen, dass mehr unterschiedliche Stimmen Zugang zu professionellen Strukturen bekommen.
Außerdem sehe ich großes Potenzial in Formaten, die neue Künstler*innen vorstellen und ihnen Raum geben, ihre Musik zu präsentieren. Es gibt bereits einige gute Plattformen hierfür, aber davon könnte es mehr geben. Gerne auch solche, die nicht ausschließlich nach Reichweite filtern, sondern gezielt nach kreativen Entwicklungen, Handschrift und musikalischer Qualität schauen.
***Vielen lieben Dank für das Interview
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