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Ellereve im Interview
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Ellereve im Interview

Ihre Songs entstehen meist spät nachts in ihrem Wohnzimmer, wenn sie von einer Melodie auf der Gitarre oder dem Synthesizer dazu inspiriert wird, etwas zu entwickeln. Dann lässt Elisa sich von der Musik treiben und entwirft spannende Klanglandschaften, die von in-sich-kehrenden Ambient bis hin zum Eifer eines satten Basses eines Dark-Rock Feuers ausbreiten. Ich sprach mit Ellereve über ihr kommendes Debüt-Werk „Reminiscence“, welches  am 31. März über Eisenwald Records veröffentlicht wird.

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  • Hi, vielen lieben Dank, dass du dir Zeit nimmst. Ich freu mich sehr, denn ich habe mich in deine Musik verliebt und bin sehr glücklich, dass ich via Starkult bereits in das Album eintauchen darf. Und ich habe es mir bereits über das Label vorbestellt. Geduld ist eine Tugend, über die ich kaum verfüge. Nun stellt sich mir die Frage, ab wann führte dich der Ruf zur Musik? Und wer begleitete dich dabei?

Liebe Marlene, ich freue mich sehr, dass wir uns auf diesem Weg begegnen dürfen! Dann starte ich gleich mal los: Meine Liebe zur Musik fing sehr früh an, das lag sicherlich auch an meiner Musik begeisterten Mutter – als ich ungefähr drei Jahre alt war, liefen Freddie Mercury, Peter Gabriel und Michael Jackson bei uns zu Hause rauf und runter und mich hatte sofort die Faszination gepackt. Ein paar Jahre später, da müsste ich so 6 oder 7 Jahre gewesen sein, fing ich mit dem Singen an. Stundenlang gab es damals nicht schöneres für mich, als in meinem Zimmer zu sitzen, mir Musik anzuhören und mitzusingen. Der Musikgeschmack war zu dieser Zeit sehr vielfältig, da war von Linkin Park bis Alanis Morissette alles dabei.

Als Teenager war ich eher verunsichert und schüchtern und traute es mich nicht, ein Band Projekt zu starten, weil ich nicht den Mut hatte vor anderen zu singen. Ich entdeckte die Welt des Metals / hauptsächlich Black Metal für mich, was auch ausschlaggebend dafür war, dass ich mir zu Weihnachten eine akustische Gitarre wünschte. Meine ersten Band- und Songwriting Erfahrungen hatte ich erst relativ „spät“ so mit 19 Jahren.

  • „Reminiscence“ erscheint im März. Bist du bereit dieses persönliche Kapitel an Musik auch loszulassen?

Und wie ich das bin! Gleichzeitig bin ich aber auch sehr aufgeregt und gespannt darauf, auf welche Resonanz es treffen wird. Ich glaube den wenigsten Künstler*innen ist sowas komplett egal, vor allem, wenn es sehr persönliche Kunst ist. Ich bin einfach neugierig darauf, was meine Musik in anderen Ohren und Herzen auslöst.

  • Das Artwork deines Debüts „Reminiscence“ zeigt dich entblößt, auf Gestein liegend, inmitten der Natur. Das Album zeigt dich selbst, verletzlich, zudem mit welcher Wucht du fühlst. Was etikettiert das Album, was ist deine Intension?

„Reminiscence“ ist wie eine Art musikalisches Tagebuch aus den letzten 3 Jahren, die sehr prägend und transformativ waren.

Bewusst habe ich das Cover Foto aus Elementen der Natur in Verschmelzung mit dem menschlichen Körper gewählt, da es für mich den Prozess des Musik Schreibens in Verbindung mit der Verarbeitung von Emotionen am besten beschreibt. Der Zauber des Wandels. Die Natur ist schon immer ein wichtiger Aspekt für mich in meinem Leben gewesen, sie inspiriert mich, sie hat etwas Erdendes und Heilendes für mich. Sie ist rau, hart, zart, ehrlich, vergänglich und zeigt einem immer wieder aufs Neue wie schön loslassen sein kann.

Die Songs sind dementsprechend – wie meine Musik es eigentlich immer ist – sehr persönlich. Jeder Song beschreibt unterschiedliche Lebensphasen und Gefühle. Vom rastlos sein und dem Wunsch anzukommen, von Vertrauen und der Angst davor, von der Liebe und dem dem Schmerz, von Enttäuschung und Hoffnung, vom Hinfallen und wieder aufstehen. Vom Leben.

 

  • Die Musik ist dein nächtlicher Rückzugspunkt. Wenn gegebenenfalls eines nachts dein Gedankenkino auf Leinwand erscheint, wie lässt du deine Songs entstehen?

Meistens lasse ich mich da komplett treiben, aber fast immer ist es eine Melodie, die mich dazu inspiriert an einem Stück weiterzuschreiben. Je nachdem wonach es mir gerade ist, beginne ich entweder mit der Gitarre oder einer Melodie auf einem Synthesizer. Seitdem ich mir das Produzieren selbst beigebracht habe, genieße ich diese künstlerische Freiheit sehr. Ich bin einfach viel unabhängiger, die Möglichkeiten sind unendlich. Das Schöne an der Kunst ist, man lernt nie aus – Sie entwickelt und verändert sich ständig.

  • „Gossamer Wings“ ist ein druckvolles Intro mit der der Botschaft, sich zu befreien und die Flügel auszubreiten. Ich hoffe, ich habe es richtig interpretiert. Zudem erklingt es wie ein immer wiedersagendes Mantra. Waren die Zeilen darin dein Mantra, um dich wieder aufzuheben?

Ja, ich glaube Mantra trifft es ganz gut… Die Botschaft in meinem Text – auch wenn man diesen vielleicht nicht unbedingt akustisch richtig versteht – ist mir sehr wichtig. Sie leitet für mich die Grundstimmung und auch Thematik des Albums ein. Um es vielleicht mal auf den Punkt zu bringen: „Gossamer Wings“ – die „hauchzarten Flügel“ stehen sinnbildlich für ein Wesen & Gefühl zu gleich. So zart und zerbrechlich diese Flügel auch wirken, fühlen sie sich unglaublich schwer und wie in Ketten gelegt an. Dieser Zustand wird aber nicht einfach resignierend hin genommen – Es geht um die Reise und Entwicklung, sich von all dem zu befreien, was die Flügel schwer werden lässt und sie vom Fliegen abhält. Denn unter diesen vermeintlichen fragilen Flügeln, steckt auch eigentlich eine große Kraft. Das wollte ich in diesem Zusammenhang musikalisch mit dröhnenden und sehr kraftvollen Bässen untermalen.

  • „In Infinite Light“ ist der erste Song, der das Licht der Welt des Debütwerkes erblickte. Warum hast du dich für diesen Song entschieden?

Sich selbst seinem eigenen Strahlen bewusstwerden. Diese Message liegt für mich unter „In Infinite Light“. Der erste Song des Albums sollte für mich genau dieses Gefühl repräsentieren. Auch wenn es danach zwischenzeitlich bei den anderen Songs mal hoffnungsloser und trauriger wird – genau diese Zeit hat ja auch dazu beigetragen, sich dem „Strahlen“ bewusst zu werden und war sehr wichtig dafür.

  • In „Cosmos“ geht es um Vertrauen. Die Single hast du ebenfalls als Vorbote erwählt, tief in deine Welt mit einzutauchen. Das Stück ist eine kleine Lichtgestalt. Erzähl mir doch mehr darüber, was dich dazu bewogen hat, diesen Stück zu schreiben.

Bei „Cosmos“ geht es um die Annäherung zweier Menschen, darum Vertrauen zu entwickeln – vor allem auch in sich selbst. Dieser „Kosmos“, in dem man sich begegnet, ist individuell geprägt von dem, was man erlebt hat. Wie zwei Planeten versuchen diese Menschen also darin gemeinsam zu existieren.

  • „I am Enough“ ist ein intensives Stück, worin die Drums noch das treibende Gefühl verstärken. Gerne würde ich deinen Blickwinkel, deine Intension erfahren.

Erst in tiefen zwischenmenschlichen Beziehungen können wir auch sehr viel über uns selbst erfahren. Manchmal wird einem lediglich ein Spiegel vorgehalten und so manches, was man eigentlich längst tief vergraben haben wollte, kommt zum Vorschein und wird getriggert. Das kann sich manchmal überwältigend anfühlen und man hat das Gefühl: Wie soll ich es jemals schaffen diese Leere zu füllen oder meine Geschichte umzuschreiben, meine Überzeugungen zu verändern. Bei „I am enough“ geht es um Selbstzweifel und um das Gefühl „nicht gut genug zu sein, nicht auszureichen.“ Werden solche Gefühle geweckt, ist man sehr verletzlich. Anstatt sich zu verschließen, habe ich mich zu dieser Zeit den Ängsten und Zweifeln gestellt. Darunter verbarg sich ein großes Geschenk und ich konnte trotz all den Ängsten und Zweifeln eine sehr positive und heilsame Erfahrung erleben.

  • „The empty Chair“ hört sich für mich nach familiärem Schmerz an und ist ebenfalls von expressiver Bedeutung. Darf ich fragen, was geschehen ist, solch ein Stück zu schreiben?

Zu dieser Zeit erlebte ich eine sehr schmerzhafte Trennung. Herz und Verstand duellierten gegeneinander, ich habe versucht mich mit dem Verlust auseinander zu setzen, versucht mit der neuen Wahrheit zu leben und nach vorne zu blicken. Aus dieser Emotion ist „The Empty Chair“ entstanden.

  • Deine Songs zeigen sehr viel Schmerz. Welcher Song ist Deiner Meinung nach dein intensivster Song, bei dem enorme Emotionen aktiviert werden, wenn Du diesen performst?

Ich glaube das möchte ich als mein kleines Geheimnis für mich bewahren 🙂 Ich denke das spüren die Zuhörer:innen dann schon selbst, wenn ich live spiele. Zumindest habe ich das schon öfter nach Konzerten gespiegelt bekommen.

Foto: Laura Patricia
  • Was schätzt du, aufgrund deiner Vergangenheit, am Leben?

Hach, ja erst kürzlich habe ich mich damit wieder auseinandergesetzt und auch in dem musikalischen Kontext…

Manchmal kommt dieser Gedanke hoch, da wünschte ich mir, ich hätte nicht so viele Jahre mit Selbstzerstörerischem Verhalten verschwendet oder gewisse schmerzhafte Erfahrungen nicht erleben müssen. Auf der anderen Seite denke ich mir, wäre ich dann dieser Mensch geworden, der ich heute bin? Hätte ich diese Musik schreiben können, die ich jetzt schreibe? Vermutlich nicht. Ich mag die Elisa, die ich heute bin, auch wenn das eine Weile gedauert hat, und ich möchte sie auch gegen keine andere mehr eintauschen 😉

Ich finde es wichtig, sich nicht zum Opfer seiner Umstände zu machen und weniger auf das zu schauen was einem gefehlt hat und mehr auf das zu fokussieren, was man hat.

  • Wünschst du dir den globalen kommerziellen Erfolg, also ein „Star“ zu sein?

Ich glaube jeder definiert Erfolg für sich anders. Ich wusste schon immer: Wenn ich keine Musik mache, fühle ich mich wie eine verdurstende Blume, die nicht gewässert wird. Ich brauche die Musik einfach wie die Luft zum Atmen. Natürlich wünsche ich mir neben der Luft auch Leichtigkeit auf meinem musikalischen Weg und diese ebnet sich denke ich auch mit einem gewissen Level an Erfolg, zumindest wenn man sich bestimmte Prioritäten und Ziele im Leben gesetzt hat. Sagen wir mal so: Ich bin noch nicht da angekommen, wo diese Ziele gesetzt worden sind. Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch mit viel Durchhaltevermögen und ein bisschen Dickkopf – Ich bin also gespannt, wo die Reise noch hin geht, und freue mich sehr darauf 🙂

  • Was würde dir im Musikgeschäft zu weit gehen oder was würdest du ablehnen? Und wie weit würdest du gehen, um deine Ziele zu erreichen.

Es ist schon ein paar Jahre her, da wurde ich von jemand aus dem Musik Business kontaktiert und diese Person wollte sozusagen mit mir eine schon „fertiggestellte“ Marke erschaffen und mich Lieder singen lassen, die nicht meine eigenen waren – zu dem fand ich diese auch noch ganz schrecklich…haha!

Ich habe dieses Angebot freundlich abgelehnt und egal wie viel Erfolgspotential hinter so etwas stecken würde, würde ich das auch immer wieder tun. Ich möchte mir treu bleiben, Musik machen, die aus meinem Herzen kommt, nicht weil irgendjemand Gefallen daran finden soll oder es Reichtum mit sich bringt.

  • Zu welcher Künstlerin schaust du auf? Oder inspirierte dich eventuell in deinem musikalischen Leben?

Ich habe gerade überlegt, ob ich noch zusätzlich die Künstler aufzählen soll (da gibt es nämlich ein paar), aber du hast ja bewusst nach einer Künstlerin gefragt, deshalb halte ich mich da auch mal dran 🙂

Meine Antwort fällt da wohl auf Emma Ruth Rundle. Als ich ihre Musik entdeckt habe (was relativ spät war, 2017 ungefähr), hat sie mich damit sofort in den Bann gezogen. Ihre Musik berührt mich so sehr, ich empfinde sie als sehr authentisch, fast schon mit einer magischen Ausstrahlung auf der Bühne und ihre Songs transportieren unglaublich viel Gefühl, da muss ich mir Live auch immer die ein oder andere Träne verdrücken.

  • Und nun zu meiner Lieblingsfrage; da wird wahrscheinlich kaum eine Künstlerin in einem Interview mit „Female Voices“ drum herumkommen: Kate Bush hatte aufgrund des Buches sowie des Films „Sturmhöhe“ von Emily Brontë Inspiration für ihren Klassiker „Wuthering Heights“. Welches Buch / Gedicht / Gemälde würdest Du gerne vertonen wollen bzw. einen Song darüberschreiben?

Ich denke ich würde gerne einen Ambient Song über das Gedicht „Überfließende Himmel verschwendeter Sterne“ von Rainer Maria Rilke schreiben.


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Titelfoto: Alex Dietrich