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Kassandra Wedel in Music is like a dream. One I cannot hear. – Im Interview
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Kassandra Wedel in Music is like a dream. One I cannot hear. – Im Interview

Deutsche Grammophon veröffentlichte anlässlich des „Welttag des Hörens“ Anfang März 2020 ein Video mit der tauben Hip-Hop-Weltmeisterin Kassandra Wedel zum 1. Satz aus Beethovens berühmter 5. Symphonie.

Kassandra Wedel steht für den Claim PLAY ON! PLAY AGAINST ALL ODDS!, die sich auf Beethovens lebenslangen Kampf gegen seine Behinderung bezieht und den aktuellen Bezug zur Gegenwart, zum Jahr 2020 herstellt.

Kassandra Wedels „Female Dance Performance“ zum 1. Satz aus Beethovens 5. Symphonie ist einfach unglaublich. Für „Female Voices“ nahm sie sich Zeit.

  • Beethoven und Sie weisen das selbige Schicksal auf. Doch sind Sie auch Tänzerin, dazu im Jahre 2012 Weltmeisterin im Hip-Hop Dance, und er ist ein bedeutender Komponist. Und nun tanzen Sie zu seiner 5. Sinfonie, einer Schicksalssinfonie. So pocht das Schicksal an die Pforte. War die Gemeinsamkeit bedeutend für ihren Ausdruckstanz?

Kassandra: Oh ja, für mich war diese Gemeinsamkeit absolut bedeutend!

Ich bin taube Künstlerin. Arbeite durchs Tanzen ebenso mit Musik. Ich kenne die Grenze, wenn man sie im außen nicht hört, aber auch die schönen Orte an die einen die Taubheit bringen kann.

Ich kann Beethovens inneren Kampf, den er hatte, nachvollziehen.

Trotzdem betrachte ich es anders als viele Hörende, die fast ausschließlich einen Verlust und Defizit in seiner Taubheit sehen.

Hätte Beethoven das so gesehen wie die anderen, hätte er nicht diese Meisterwerke schreiben können!

Ich bin von Ballett zu Hip-Hop gewechselt. Hip-Hop hat seine Ursprünge in der Unterdrückung. Taube waren das auch. Ich konnte mich mit den Bewegungen sehr identifizieren. Sie hatten etwas Verspieltes, Poppiges an sich, aber auch Aggressives. Wut die nach Befreiung strebt. Es passte absolut zu meiner Teenager-Zeit und diese Musik war fühlbar!

Beethoven hat mich letztes Jahr also einfach zurück zur Klassik gebracht. Das war vielleicht mal an der Zeit. Das Bewusstsein der Leute ändert sich. Früher hätte man nie eine taube Künstlerin gefragt, obwohl Beethoven ja selbst taub war. Es ist erfreulich und ich feiere das mit Beethoven!

  • Ihr Tanz zur Schicksalssinfonie ist unglaublich – Sie sind unglaublich! Sie fühlen die Sinfonie. Ihr Tanz ist sehr ergreifend.

Kassandra: Danke das freut mich sehr, wenn es gefällt bzw. unsere Arbeit gut ankommt. Mehr davon! Ich möchte sehen wie weit ich gehen, tanzen und spielen kann!

  • Sie tragen in dem Video ein rotes Kleid. Rot wird oft als feurig, teuflisch, aber auch sinnlich bezeichnet. Ich finde, dass dieser Farbakzent prägnant für dieses Video ist. Es ist jetzt ein seltsamer Vergleich, aber es ist wie das Mädchen im roten Mäntelchen aus Schindlers Liste. Ein einprägsames Detail.

Kassandra: Ja die Farbe Rot passt hier tatsächlich sehr gut!

Habe mich auch schon mit der Farbe auseinandergesetzt und angefreundet, denn es war früher nicht so meine Farbe, weil irgendwie die meiner Mutter. Lach.

Rot ist ja die Farbe der Liebe aber auch Leidenschaft, Leben, Blut aber auch Opfer. Finde deshalb deinen Vergleich gar nicht so seltsam und ich erinnere mich an das rote Mantelmädchen aus Schindlers Liste.

Süß, wie eine rote unschuldige Erdbeere inmitten von Krieg.

Im Video ist es auch eine Krise, mehr ein innerer Kampf mit etwas Unbekanntem. Nur anders gehts hier bei Beethoven gut aus, die Liebe findet ihren Weg und er bzw. auch ich gehen gestärkter hervor. Liebe ist unsere lebendige Kraft und sie steckt in seiner Musik.

  • Music is like a dream. One I cannot hear. Sie erträumen sich die Musik, den Tanz. Wie nehmen Sie Musik wahr? Und welches Genre am intensivsten?

Kassandra: Techno wäre wohl das am leichtesten Fühlbare. Einige meiner gehörlosen jungen Freunde tanzen drauf und sind ganz verrückt nach den starken Beats und den schnellen Moves. Aber ich mag gern Hip-Hop und Pop, weil die Beats da sehr verschiedene Rhythmen und Schläge haben, aber generell lässt sich auf jede basslastige Musik gut fühlen. Trotzdem kann ich Musik auch anders wahrnehmen, also nicht nur über äußere Reize, sondern auch innere und die klingt ganz anders und wundervoll, oftmals viel klassischer. Oder ich kann am Klavier sitzen und das Klavier fühlen, während ich spiele und ich habe beobachtet, dass in Momenten der Entspannung es viel besser fühlbar ist, als könnte ich es mit dem Körper „hören“, die Schwingungen.

  • Sie wurden durch einen schweren Unfall gehörlos. Doch legten Sie ihr Hörgerät eines Tages ab. Was tat sich in Ihnen auf? Was machte es mit Ihnen? Wie lernten Sie Ihre Umgebung ohne massive Geräuschkulisse, zu intensivieren? Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie ihre Umgebung auch die Menschen in ihre Gestik stärker wahrnehmen.

Kassandra: Man wird sich wundern, aber als ich mit 18-19 begann das Hörgerät langsam abzulegen eröffnete sich mir die Welt von neuen Seiten, ich entdeckte den Rhythmus und die Musik noch viel mehr und die Welt des Fühlens. Musik in einer Diskothek klang für mich durch mein Hörgerät wie Mischmasch, es war laut aber verzerrt, was mich oft verunsicherte, denn es entsprach nicht der Realität und dem was ihr hört. Als ich sie eines Tages im Club auszog. Oh ja, da war er, der Rhythmus so klar fühlbar und endlich konnte ich mich selber nach ihm orientieren und dazu bewegen, das war befreiend. Trotzdem war das Ganze ein Prozess.

Es dauerte eine Weile nach so vielen Jahren täglich Hörgerät bis dieser „Disko-Effekt“ weniger wurde und der Körper sich umstellte. Ich begann Dinge zu fühlen, die andere nicht mal so hörten und ich lernte dadurch auch meine Taubheit anders kennen, sie fühlte sich für mich natürlicher an. Aber es ist nicht so, dass es völlig still ist, ich lernte visuell zu hören.

Lippenbewegungen und Gebärden und Mimik werden manchmal sogar zu einer Stimme in meinem Kopf oder Bewegungen zu Musik oder Geräuschen. Das kann man sogar nachlesen, in „Stumme Stimmen“ von Oliver Sachs und ich glaube, man kann es noch viel tiefer erforschen. Denn ich habe festgestellt: Selbst Stimmungen und Unterschwelliges beeinflusst die Stimme die ich „höre“.

  • Mein bester Freund Lori ist auch gehörlos. Für mich war es manchmal schwierig, da ich oft mehrmals denselben Satz sprach oder er mich nicht hörte und ich entnervt war. Es brauchte viel Übung und auch Verständnis. Er trägt nun einen operativen „Porsche“. Er hört seitdem intensiver, musste aber auch jeden Ton üben. Ein Leben ohne musikalische harte Riffs wäre für ihn undenkbar und wahrscheinlich auch suizidal. Wäre für Sie ein derartiger Eingriff denkbar oder sehen Sie es als „Handicap“ an, da Sie sich ohne Hörgerät besser spüren können?

Kassandra: Schön, dass du einen gehörlosen Freund hast. Jeder sollte einen haben. 😉

Wäre ein „Operativer Porsche“ nicht operativ, sondern wie ein Hörgerät, würde ich es gerne mal testen aus Neugierde, als Vergleich und bei Bedarf auch wieder ausziehen. Aber so ein operativer Eingriff wäre nichts für mich, weil ich ein Trauma habe und für mich einen anderen Weg sehe. Denn egal welches Gerät oder welche Prothese man hat, bleibt ein Defizit bestehen und das wird oft vergessen.

Ich denke, alles hat seine Vor- und Nachteile und da muss jeder für sich entscheiden wie er klarkommt. Ich respektiere alles. Unter meinen Tanzschülern gibt es alle Möglichen, aber ich beobachte das ein Ci nicht automatisch bedeutet, dass man die Musik besser wahrnimmt und darauf tanzen kann. Da ist ein Irrglaube. Es gibt auch Hörende die kein Rhythmusgefühl haben und da ist so manche Taube besser.

Mit dem Hörgerät tat ich oft so als würde ich verstehen, das hat viel mit der Erwartungshaltung zu tun. So wurde ich Meisterin im Kopieren von Verhalten und Bewegungen, ich sprach ja noch und tanzte. So gingen die meisten davon aus, ich könne gar nicht so schlecht hören. Später stellte ich fest, ich bin akustisch tauber als so mancher Hard-Core-Taube aus der Deaf Community. Es ist lustig, ich habe selbst gestaunt.

Irgendwann wollte ich mich nicht mehr verstellen oder so tun als ob, anderen und mir etwas vormachen, nur damit es bequem ist und man nichts ändern muss. Ich möchte ehrlich und authentisch sein, auch wenn es mal wehtut!

Ja ich kann mich so besser spüren, fühlen und dem vertrauen.

  • Welches Ereignis war Ihre glücklichste Erfahrung?

Kassandra: Oh… da muss ich überlegen, es gibt einiges. Viele tolle großartige Projekte bei denen ich die letzten Jahre mitwirken und Erfolge feiern durfte. Ich fühlte mich zum ersten Mal sehr gesegnet, denn so hatten sich all die Jahre des Kämpfens gelohnt und das war nicht immer einfach.

Ich kann nicht sagen, welches davon die glücklichste Erfahrung war es gibt einige Höhepunkte aber sie sind irgendwie Teil eines größeren Ganzen. Aber wenn ich so überlege, fällt mir doch etwas ein: Meine Kindheit war definitiv eine der glücklichsten Erfahrungen in meinem Leben. Ich war so frei, fröhlich, kreativ und sorgenlos.

  • Welche Ihre Traurigste?

Kassandra: Hmm… das Traurigste, gibt es nicht für mich. Es gibt nur verschieden traurige Momente, aber in manchen fand ich trotzdem Schönheit.

Wie wenn mal wieder eine meiner Katzen gegangen war.

  • Welches Ziel wollen Sie als nächstes erreichen?

Kassandra: Beethoven spielen in der Bonner Kunsthalle. Meine eigenen Stücke umsetzen und andere Träume.

Herzlichen Dank für das Interview!

Info: Mit drei Jahren beginnt Kassandra das Tanzen. Mit vier verliert sie bei einem Autounfall fast ihren kompletten Gehörsinn. Als Kind nutzt sie ein Hörgerät. Damit kann sie Teile ihrer akustischen Umgebung wahrnehmen. Doch anders als manche Schwerhörige ist sie nicht glücklich damit. Denn für sie klingt es nur nach einem grob unterscheidbaren Rauschen, wo die Mitschüler sich unterhalten oder zu den Charts wippen. Hören bietet Kassandra zu diesem Zeitpunkt keine Orientierung, sondern ist ein permanentes Gewahrsein eines körperlichen Defizits. Also entscheidet sie sich in ihrer Pubertät, das Gerät abzulegen und damit bewusst für die Taubheit. Eine Befreiung. Denn in der Stille findet sie, die wie schon als Dreijährige immer noch Tänzerin werden will, zu einer neuen Musikalität.

Kassandra Wedels Erfolg darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie steinig ihr Weg war und wie viel inklusive Arbeit noch zu leisten ist. Erst 2002 wurde in Deutschland die Gebärdensprache als offizielle Sprache anerkannt. Kassandra ist in dieser Zeit eine von vielen Pionieren und Pionierinnen, die für mehr Anerkennung der Gehörlosenwelt in allen gesellschaftlichen Bereichen kämpfen. In der Kunst erobert sie Schritt für Schritt neue deaf spaces. Im Film, im Fernsehen, auf der Bühne. Und als Tanzlehrerin zeigt sie einer heranwachsenden Generation, sich selbstbewusst gegen Widerstände und Vorurteile zu behaupten. „Ich kann mich mit Beethoven identifizieren, weil er, obwohl er ertaubt ist, weiter Musik gemacht hat,“ sagt Kassandra. Beide suchen in ihrer Kunst Grenzbereiche. Beide klopfen nicht nur an Wände, sondern durchbrechen sie, erkunden das, was dahinter ist und machen es für andere zugänglich. Wenn Kassandra Beethoven tanzt, dann um ihn für alle sichtbar zu machen, auch für die, die ihn nicht hören können. Aber sie tanzt Beethoven auch, damit die, die seine Musik hören, sie in einem vielleicht ganz neuen Licht sehen. 

 


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