Die große Leistung der Projekte von Alice Elena Fossi und Angelo Bergamini besteht darin ihre aus Herzblut entflammten Musikerträge auf CD/Vinyl Pressungen zu packen. Dabei bewegen sie sich stets in kreativer Erweiterung, sowie in Neuerfindung, als auch in Neugestaltung. Die Novität schmückt keinen Stillstand in der Schaffenskraft dieser beiden Italiener. Wobei Stillstand für diese kreativen Köpfe ein Fremdwort zu sein scheint. Es ist gleich, ob sie neue Musik erschaffen oder die bereits bestehende einem musischen Upcycling zuführen. Nebenbei kleiden sie sich gern mit „ungewöhnlichen“ Covervorlagen ein, die sie stets mit schwärmerischen Tiefsinn und kraftvoller Intensität auf ihrer Art verfeinern. Zudem besitzt jeder Coversong einen hochwertigen Esprit. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihre Auserwählten für Stalingrad Valkyrie Roma, Kirlian Camera oder ferner für Spectra Paris* verwenden.
Ob als Stalingrad Valkyrie Roma oder als Kirlian Camera, diese Bandformationen erschaffen stets eine einnehmende Atmosphäre. Wobei SVR die „instrumental-reduzierte“ sowie sphärischere Variante aus dem kreativen Geist der Federn von Alice Elena Fossi und Angelo Bergamini ist. Während Kirlian Camera einen brachialen, progressiven Electropop Reiz ausübt, bildet SVR einen barmherzigen Kontrast, der allerdings von stampfenden Tumulten aufgerüttelt wird, ohne den Hörenden in Missstimmung zu bringen.
„Ossuarium“ ist das neue A5-Artbook von Stalingrad Valkyrie Roma, welches eine CD im Vinylstil beinhaltet. Die streng limitierte Ausgabe wurde anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des SVR-Projektes veröffentlicht und ist „wie ein Blitz aus dem Himmel geboren worden.“ Das Album beinhaltet eine Sammlung unveröffentlichter Songs, die zwischen 2001 und 2024 entstanden sind. Dennoch möchten Alice Elena Fossi und Angelo Bergamini „Ossuarium“ als das dritte offizielle SVR-Album betrachten, obwohl es Material aus mehr als zwei Jahrzehnten enthält. „Wir erinnern uns, dass das Projekt 1999 entstanden ist.“
Über das Projekt SVR erzählte Angelo Bergamini im Jahre 2020 auf dem Social-Media-Kanal Facebook: „Die Idee zu einem solchen Projekt entstand 1999 mit einigen Kompositionen, die Ivano Bizzi (damals Member von Kirlian Camera) komponiert hatte, die ich mir anhörte. Ich schlug den Namen Stalingrad Valkyrie für dieses Embryo-Projekt vor, aber es sah optisch ein wenig lang aus. Schließlich wurde beschlossen, den Namen in ein kürzeres Stalingrad zu ändern (ich wusste nicht, dass es bereits eine Band mit diesem Namen gab), und ich erklärte mich bereit, die oben erwähnten Stücke zu produzieren. Jedoch beschloss Ivano selbst wegen plötzlicher Arbeitsüberlastung, sofort danach aufzuhören. Meiner Meinung nach war es schade, eine so unfertige Idee gleich nach der Geburt verglühen zu lassen. Also fragte ich ihn, ob es ihm etwas ausmachte, wenn ich und eine andere Person das Projekt, das er ursprünglich schaffen wollte, „retten“ würden. Es gab keine Probleme: ganz im Gegenteil! Also nahm ich sofort Kontakt zu einer jungen Freundin auf (Elena Alice Fossi), und gemeinsam beschlossen wir, dem, was wir heute gerne mit SVR abkürzen, endgültiges Leben einzuhauchen. Elena und ich sind praktisch die einzigen Architekten des Projekts, und zwar seit dem Jahr 2000, also seit seinem wirklichen Beginn. Ich habe Elena Alice nur gebeten, sich besonders um die ganze Sache zu kümmern. Mir gefiel mir (ist hier ein mir zu viel??) die Idee ein aktiver Teil davon zu sein, aber ich fühlte mich ein wenig mehr der Popmusik und der Elektronik im Allgemeinen zugewandt. Während sie viel mehr in die Welt von „Der Herr der Ringe“ involviert war – wenn Sie wissen, was ich meine –, obwohl sie mit mir bereits eine echte Liebe für neumodische Elektronik teilte. Sie war glücklich! Auch wenn sie ein wenig ängstlich aussah (sie war sehr jung, doch ich wusste, dass sie bereits eine talentierte und inspirierte Musikerin sowie eine außergewöhnliche Sängerin war), und so nahm alles Gestalt an. Dies ist die Geschichte, an die ich mich erinnere. Andere Versionen sind nicht Teil meiner eigenen Erfahrung.“
Auf „Ossuarium“ befinden sich – in der freien Übersetzung – demnach neue sowie unveröffentlichte „Überreste der [musikalischen] Gebeine“ aus 23 Jahren SVR. Und ebenfalls frönt dieses Side-Projekt der Leidenschaft, sorgfältig Songs von anderen Musikschaffenden mit ihrer persönlichen Note erklingen zu lassen. Die Texturen der enthaltenden zehn Songs sind im elektronischen Mechanismus zuhause, worin jeder Song eine abseitige Akzentuierung enthält. Keiner ihrer Songs gleicht dem anderen.
Und so ertönt der Opener „Heresiarch“ vorwurfsvoll, nahezu kolossal wie eine aufkommende Bedrohung. Zumal der stampfende Sound die Dramatik intensiviert, die von Elena Alice Fossis betörenden Gesang und Angelo Bergaminis akzentuierten Einsatz beherrscht werden.
Den rockigen Muse Song „Time Is Running Out“ funktionierten SVR zur balladesken Version um, die von Johannes Berthold (Illuminate) am Piano begleitet wird. Der emotionale Song handelt von dem Gefühl, wie der letzte Moment einer Person enden kann.
Theatralische Streicher verstärken ein cineastisches „HADE6“, die in Endzeit-Filmszenen seine Wirkung entfalten könnte. Laut gehört wirkt der Song magischer, wodurch der Joik-Einsatz den elektronischen Klängen beisteht. Zumal ein Joik die tiefe Verbundenheit zur Natur ausdrückt. Demnach schmeckt „HADE6“ nach Ferne, nach Meer. Wie auch bei „Borders Of Salt“. Denn mit „Borders Of Salt“ wurde ein großer keltischer Chanson voller Emotionen neugestaltet. In dem Chanson richten sich anhaltende Gebete zum Himmel hin, da die ungleichen Tage voller Zweifel sind und das Meer sie letztendlich wegträgt.
„Slavonija“ ist ein patriotisches Heimatstück von Jadranko Lesina, welches SVR sorgfältig gecovert haben. Darin spielt die Musikerin Irene Shapes ein altes chinesisches Instrument namens Guzheng (Wölbbrettzither), auf das sie sich direkt in China spezialisiert hat. Mit diesem Stück schließen SVR ihr unvergessenes Material ab, von denen sie nur den Staub abpusteten und zum anderen neue Kreationen zum Leben erwecken.
Dieses Album und auch die von Kirlian Camera zeigen, dass Musik die DNA von Alice Elena Fossi und Angelo Bergamini ist. Ob im Studio oder auf Tour, in ihnen ist ein stetiges Brennen und Verlangen musisch kreativ zu sein, sich auszutoben und sich auf Tour in alle Winde von Clubs zu Festivals zu zerstreuen. Dementsprechend bildeten sie „Ossuarium“ eine weitere pulsierende Zusammenfassung an imponierender Ästhetik, enthusiastischen Sound und geschickter Verrückung.
Und wieder einmal beweisen Alice Elena Fossi und Angelo Bergamini, dass sie ein außergewöhnliches Gespür für Kreationen, Neuinterpretationen und optischer Abgrenzung haben.
***Ich habe die limitierte Ausführung Nr. 70 auf dem Stella Nomine Festival ergattern können. Nur ein Manko gibt es: KC-Homepage ist ein Desaster! Könnte auch darauf hindeuten, dass sie mehr wert auf Musik legen anstatt auf den Social Media Auftritt.
*Spectra Paris ist das Sideprojekt von Alice Elena Fossi, welches (aus meinem Wissensfundus) ausschließlich aus Frauen besteht.
Wertvoller Link: