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Im Interview mit HILLA
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Im Interview mit HILLA

Hilla ist ein elektronisch-urbanes Pop-Projekt, das internationalen Sound mit aufrichtigen und direkten deutschen Texten verbindet, die manchmal unterhaltender Natur mit ironischem Unterton sind, manchmal aber auch ernste Themen behandeln. Mit Songs über Feminismus, Body Positivity und Selbstliebe will HILLA auf bestimmte Themen und Probleme in der Gesellschaft aufmerksam machen. Dabei erzählt sie auch Geschichten aus ihrem eigenen Leben und zeigt offen ihre Ecken und Kanten.

Mit ihrem Song „Mahnmal“ möchte sie die Gründe, die hinter ihrer Binge-Eating-Störung stehen, verarbeiten, den Kampf mit den eingeschliffenen Bewältigungsstrategien aufnehmen, und Betroffenen Mut machen.

***Mit HILLA musste ich einfach ein Interview führen. Weil es mir selbst so wichtig war…und…ich bewundere mutige und empowernde Frauen wie HILLA.


  • „Mahnmal“ ist ein sehr persönlicher Song. Darin sprichst du die Binge-Eating-Disorder an, einer Störung im Essverhalten. Das mag wohl dein größter Feind gewesen zu sein, mit dem du wahrscheinlich dich geschämt hast. Was hat die Störung mit dir gemacht?

Sie hat mir auf jeden Fall sehr viel Selbstliebe, Selbstwert und Selbstbewusstsein geraubt. Vor allem, weil ich lange Zeit gar nicht verstanden habe, dass es sich um eine ernstzunehmende, psychosomatische Erkrankung handelt. Ich habe mein Leben lang gedacht, ich bin zu undiszipliniert und nicht ehrgeizig genug, um meinen Traum vom Idealgewicht zu erreichen. Und wenn man sich seine Essstörung so erklärt, hat man nur Verachtung für sich selbst übrig. In diesem Gedankenmuster war ich festgesteckt, seit ich acht Jahre alt war. Mittlerweile bin ich einen großen Schritt weiter, kompensiere nur noch sehr selten ungewollte Gefühle mit Essen und bleibe selbst im Falle des Falles trotzdem gut zu mir.

  • Was ist geschehen, dass du die Kontrolle über dein Essverhalten verloren hast? 

Ich war schlicht und einfach sehr überfordert, weil ich schon als Kind sehr viel gefühlt habe, aber nicht wusste, wie ich damit umgehen kann, und auch nicht, wie ich mich selbst durch diese Emotionen halten kann. Sicherlich war es auch nicht hilfreich, dass meine Eltern selbst keinen sehr intuitiven Umgang mit Essen hatten. Aber problematischer war, dass ich schon früh in meinem Leben sehr viel Ablehnung erfahren habe und mit Essen versucht habe, die Trauer und Verzweiflung in mir wegzudrücken. Und neben diesem inneren Kampf, hatte meine Essstörung zeitgleich eine Wirkung nach außen, die mir aber lange Zeit gar nicht bewusst war. Es war wie ein Hilferuf – „Schaut mich an, ich habe ein Problem“. Und das ist die Erkenntnis, die zu „Mahnmal“ geführt hat.

  • Dein Match wurde zu einem „Mahnmal“. Was wünschst du dir mit diesem Song zu erreichen?

Ich wünsche mir, dass offener über Essstörungen und allgemein psychische und psychosomatische Erkrankungen gesprochen wird und diese in unserer Gesellschaft enttabuisiert werden. Gerade wenn es um Essstörungen geht, wird beispielsweise eine Bulimie oder Magersucht eher als Krankheit ernst genommen, als eine Binge-Eating-Störung, die viele als persönliches „Versagen“ betrachten. Wenn auch nur ein Mensch da draußen durch meinen Song die Kraft findet, daran zu glauben, dass es einen Weg aus der Essstörung gibt, habe ich mehr erreicht, als ich mir jemals vorstellen könnte. Und natürlich ist der Song auch für mich eine Art Therapie, die mir immer wieder vor Augen führt, wie weit ich schon mit meinen Themen gekommen bin.

  • Hattest du eigentlich Angst „Mahnmal“ zu veröffentlichen, weil es so intim ist?

Ja, ich war auf jeden Fall verunsichert, wie er wohl ankommen würde. Aber ich war mir dennoch sehr sicher, dass dieser Song in die Welt muss. Ich habe den Song während meiner zwei Monate Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik für Essstörungen 2019 geschrieben. Er war ursprünglich nur zur Selbstheilung, und nicht für eine Veröffentlichung gedacht. Aber nachdem ich den Song zum Abschied vor allen Patient:innen und der ganzen Belegschaft vorgetragen hatte, und die Reaktionen sah, wusste ich, dieser Song hat sehr viel zu geben und sollte nicht nur für mich sein.

  • Bis jetzt habe ich „nur“ Singles hören dürfen, aber wie schaut es aus, deine Babys mit einem Album zu komplettieren?

Das ist auf jeden Fall ein Traum von mir, den ich angehen werde, sobald ich auch die Möglichkeit habe, ein Album zu vertreiben, beispielsweise am Merch-Stand nach Auftritten. Leider sieht die Auftrittslage, wie sich jeder denken kann, aber momentan nicht so gut aus.

  • Wenn ich nun deine Bilder betrachte, dann sehe ich eine Frau, die sich sehr wohl fühlt und Body Positivity ausstrahlt. Möchtest du anderen „Curvy Girls“ ermutigen zu sich selbst und ihren Körper zu stehen?

Auf jeden Fall! Ich habe mein Leben lang nur das Ziel verfolgt, mein Idealgewicht zu erreichen und bin an dieser Aufgabe wirklich zutiefst verzweifelt. Ich habe alle meine Träume zurückgestellt, weil ich dachte, diese dürfte ich erst verfolgen, und ich dürfte erst ich selbst sein, wenn ich schlank bin. Man lebt im Schatten seiner selbst und das wünsche ich niemandem da draußen. Leider geht es aber so vielen Menschen so, vor allem Frauen. Es braucht hier wirklich einen gesellschaftlichen Wandel der Ansichten von Schönheit und Gesundheit. Und der geht sicher nicht von heute auf morgen, aber ich kann ein kleiner Teil davon sein. Und auch hier, ist es eine Form von Selbsttherapie. Ich bin ja nicht eines morgens aufgewacht und war plötzlich selbstbewusst. Es ist „Learning by doing“. Ich habe mich entschieden nach außen die selbstbewusste Frau zu geben, die ich sein möchte und mein Inneres zieht nach. Ich glaube, nur so rum funktioniert es. Sonst warten wir bis ans Ende unserer Tage darauf, dass wir uns selbstbewusst genug fühlen, um das zu machen, was wir wirklich wollen.

  • Auch habe ich Bilder gesehen, dass du dein Haar verändert hast. Ein neues Leben beginnt mit einer neuen Frisur. Trifft der Spruch auch auf dich zu?

Ja, absolut. Es war in diesem Fall kein direkter Auslöser, der diese Veränderung in Kraft gesetzt hat, sondern ein langer Selbstliebe-Prozess. Ich bin nach wie vor sehr glücklich mit dieser Entscheidung und werde nie das schönste Kompliment vergessen, das mir jemand zu meiner Frisur gemacht hat: „Deine neuen Haare kehren jetzt viel besser die Frau nach außen, die du innerlich bist.“

Foto: Verenamachtfotos
  • Bei mir hat es etwas gedauert, dass ich mich als Feministin „outete“, weil ich auch in einer Männerwelt arbeite und mich darin auch sehr wohl fühle. Ja, ich lebe ein Frauen-wie auch Männerleben. Wie schaut es mit dir aus? Feminismus ist ebenso ein Thema für dich.

Definitiv. Und wir haben noch so viel Arbeit vor uns. Aber auch das ist mir erst vor wenigen Jahren klar geworden. Ich habe lange Zeit gar nicht gemerkt, dass ich nicht die gleichen Privilegien habe wie Männer, und sowohl anders behandelt, als auch anders bewertet werde. Es war halt einfach normal, weil ich es nicht anders kannte.

  • Ich mag die aggressive Radikalität im Feminismus überhaupt nicht, diese stößt mich ab. Was magst du nicht, was ist dir wichtig? 

Ich glaube jede Form von Radikalität ist schlecht. Zwischen Schwarz und Weiß gibt es nun mal auch grau und das ist ok. Wir neigen als Menschen nur sehr stark zur Kategorisierung, weil es einfacher ist. Ich bin beispielsweise beim Thema Frauenquote hin und her gerissen. Einerseits möchte ich, dass ich als Frau durch meine Leistung überzeuge und nicht durch mein Geschlecht. Andererseits kann ich meine Leistung gar nicht zeigen, wenn ich nicht überhaupt erst die Chance für eine Position bekomme, weil ich als Frau durchs Raster falle. Eine sehr klare Position habe ich hingegen, wenn es darum geht, dass Frauen selbst über ihren eigenen Körper entscheiden können und dementsprechend auch darüber, ob sie mit diesem Leben schenken wollen oder nicht. In dem Zuge finde ich es übrigens höchstproblematisch, dass eine Frau, die keine Kinder will, in unserer Gesellschaft als egoistische Karrierefrau gesehen wird. Wenn es um einen Mann geht, ist das etwas ganz anderes. Und das ist genau das, was ich meine, wenn ich sage, wir haben noch viel zu tun. Es sind die kleinen Überzeugungen, die zwischen den Zeilen stehen, die so viele Frauen da draußen nicht hinterfragen. Das hat auch nichts mit Männerhass zu tun, auch wenn viele das Thema so abtun. Es geht schlichtweg um Gleichberechtigung auf allen Ebenen.

  • Du schreibst Songs für zahlreiche Musiker:innen. Hast aber aufgrund der Versagensangst vorerst deine musikalische (Weiter-)Entwicklung nach hinten gestellt, bis du DEIN eigenes Projekt in die Hand genommen hast. Würdest du gerne die Zeit zurückdrehen wollen, um früher damit zu beginnen?

Das habe ich oft gedacht, aber dann wird mir immer wieder klar, dass ich früher einfach noch nicht bereit dazu war. Ich habe diese Zeit gebraucht, um mich zu finden und zu wissen, wer ich bin und was ich kann. Es ist alles so gelaufen, wie es laufen sollte und ich würde nichts daran verändern wollen.

  • Bist du eigentlich noch immer in einem Sog aus Selbstzweifel und Selbstvertrauen?

Ich bin mir meiner Stärken und auch Schwächen mittlerweile sehr bewusst und habe deutlich mehr Selbstvertrauen als früher. Ich kann auch mit Ablehnung, mit der man unweigerlich in dieser Branche konfrontiert ist, viel besser umgehen. Nichtsdestotrotz habe ich als hochsensible Person viele und sehr starke Gefühle und lerne immer noch, mit mir umzugehen.

  • Was ist dein wichtigstes und positives Merkmal, welches du verkörperst?

Pure Emotion. Meine Mutter hat immer gesagt: „Typisch Zwilling, in einem Augenblick himmelhochjauchzend, im nächsten zu Tode betrübt.“ Und so ist es auch. Egal ob ich eine Herzschmerz-Ballade mache, oder einen euphorischen Freundschafts-Song – ich bin immer mit all meinen Gefühlen dabei, (und das ist jede Menge) und habe die Gabe, Menschen mit meiner Energie in meine Welt zu ziehen. So wurde mir das zumindest zugetragen 😉

  • Nun zu meinem Lieblingsthema: Frauen im Musik-Business. Ich würde gerne wissen welche Erfahrungen du dort gemacht hast:

Man wird oft unterschätzt. Aber das ist denke ich generell das Problem, dass Frauen eben von manchen Männern als hormongesteuerte und damit unzurechnungsfähige Wesen betrachtet werden, um es mal ganz krass zu sagen. Und das spürt man auch öfter im Musikbusiness. Ich schaffe es aber immer öfter, deutlich meine Meinung zu äußern, und meine Frau zu stehen. Ich muss nicht mehr um jeden Preis gefallen, und das ist sowohl persönlich, als auch feministisch betrachtet ein sehr wichtiger Schritt.

  • Wem hast du eigentlich als Kind/Teeny am liebsten imitiert? 

Jede/n, die/den ich gefeiert habe. Von Michael Jackson über Maria Carey hin zu Christina Aguilera. Ich habe mir von allen das Beste rausgepickt und versucht, stimmlich möglichst nahe ranzukommen. Tatsächlich hatte das aber zur Folge, dass ich später erstmal verstehen musste, wie ich mich selbst in Musik ausdrücke, wenn ich mal jegliche Imitation beiseitelasse. Aber ich glaube, es hat geklappt. Ich fühle mich zumindest nicht als Kopie von jemand anderem.

  • Und gibt es für dich eine Künstlerin, zu der du aufschaust, die dir Kraft und Inspiration schenkt? Vielleicht wo du auch denkst, ja, genauso möchte ich meine Songs auch transportieren!? 

Meine drei Favoriten, die mich auch besonders im Hinblick auf meine eigenen Texte inspirieren, sind Madeline Juno, Laing und Schmyt. Madeline Juno schafft es, die deutsche Sprache in eine sehr „undeutsche“ Sprachrhythmik zu verpacken. Das klingt in meinen Ohren immer ganz besonders und modern und cool. Laing hat wahnsinnig kreative und ausgefuchste Texte mit so tollen Bildern und Wortspielen. Und natürlich auch mega Vocal-Arrangements. Und Schmyt hat so eine unkonventionelle Art in seinen Texten und auch eine Wahnsinns-Stimme. Das hat mich direkt umgehauen.

  • Und nun zum Abschluss meine Lieblingsfrage, die ich bestimmt jeder Künstlerin stellen würde: Welches Buch oder welches Gedicht würdest du gerne vertonen?

Ich bin ein sehr großer Finnland-Fan und habe in meiner Bachelorarbeit Vertonungen des finnischen Nationalepos „Kalevala“ verglichen. Von daher ist das mein erster Gedanke. Ich habe das Epos natürlich selbst gelesen und mir vorgestellt, wie ich es musikalisch umgesetzt hätte. Es wäre auf jeden Fall sehr dramatisch geworden – das ist klar 🙂

 

Herzlichen Dank für dieses sehr persönliche, ehrliche und tolle Interview! <3


Foto: Verenamachtfotos

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Titelbild von: foto.pueppi