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Billie Eilish – When We All Fall Asleep, Where Do We Go?
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Billie Eilish – When We All Fall Asleep, Where Do We Go?

Mit gerade mal 17 Jahren brachte Billie Eilish ihr Debüt „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ raus. Die Billie-fizierung fixte an wie Heroin einen Junkie. Doch zuvor war sie schon ein gefeierter Star mit ausverkauften Tourneen.

Das Mädchen hatte einfach Glück oder die beste Depression ihres Lebens, um daraus Songs zu schaffen. Wo andere Singer-/Songwriter schwer daran arbeiten musikalischen Erfolg zu haben, brauchte es bei ihr nur einen scheiß Song. Ihr Bruder und Co-Producer von niedlichen 21/22 Jahren lud auf einer Plattform einen Song hoch und *zack* kam der Plattenvertrag.

Die schlauen Geschwisterkinder Billie Eilish und Finneas O’Connell trafen mit ihrem futuristischen Sound den Nerv der heutigen (Teenie-) Konsumenten. Tragende Rollen spielten wahrscheinlich auch die „Iron Man“ und „Six Feet Under“ Schauspielereltern, die nun selber im Schatten ihrer Abkömmlinge stehen.

Ja, Billie Eilish scheint den Weltschmerz derer zu reflektieren, die krampfhaft versuchen cool zu sein, Geld haben wollen – ohne es sich wahrhaftig zu verdienen, einen auf Ghettoboy/Bitches machen, die „Vong“-Abszesse sprachlich verinnerlichen und das „meine Eltern verstehen mich nicht“ – Drama entrieren.

Die heutige Jugend hat es auch sehr schwer, so zwischen: hoffnungsloser, gelangweilter Schulbank (B.E. hatte Privatunterricht), der umstrittenen „Greta“-segelt-gerne-haften „Fridays For Future“ Bewegung (B.E.‘s weiterer Vorname heißt „Pirat“), Like-geilem Instagram ( B.E. hat 50 Mio. Follower) und Marketing verpestetem YouTube (Die Piratin hat Billionen von Streams).

Die bekifft-dreinblickende Creepin im Boyfriend-Look hat es aber geschafft, da zu sein, wo andere gerne sein möchten – im Musikbuiz-Olymp. Sie rebelliert ihren eigenen Zustand nach oben und hat wahnsinnigen Erfolg dabei, dass einem schwindlig wird. Jedem sei Erfolg gegönnt, der hart dafür arbeitet! Doch wie lange wird ihr Triumpf bestehen ohne die Gehypten zu langweilen? Wie lange wird sie dem Druck einer Musikindustrie standhalten, die andauernd nach Hits schreit? Wenn sie jetzt schon mit Dauerdepries und Selbstmordgedanken herumrennt wie ein umherirrender Streuner auf der Suche nach Nahrung.

Es ist interessant und faszinierend, wie ein wohl behüteter Teenager von mittlerweile zarten 18 Jahren, ab März 2019 war sie 17 Jahre, so gehyped wird, dass die Periode zu früh einsetzte, weil es nervte. Billie Eilish hier – Billie Eilish da.

Nein, ich sprang nicht auf diesen Zug auf – ich nicht! Ich wartete lieber geduldig die Prozession ab und beobachtete die „Gegen den Strich“-Entwicklung, die nicht abflaute. Es hagelte Preise und noch weitere sollen folgen. Doch, man kann nicht die ganze Zeit schimpfen und versuchen, die Musik zu ignorieren, wenn man dem Geschaffenen nicht eine Chance gibt. Und nun liegt es vor mir, der im März 2019 veröffentlichte Hype: „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“.

Der Bass ist zu penetrant, sodass eine gute Sound-Anlage ein gebieterisches Streben nach „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ Hören misslingt. Die Neugier ist zu stark, jedoch die Nerven für einen dumpf-scheppernden, digitalisierenden Sound zu schwach. Aber mit einem billigen Recorder ist der Trap, Hip-Future-Pop, minimalistischer Elektro mit desolat-unstrukturierter Sound-und Songgestaltung, durchaus hörbar. Im Zombie-Smartphone-Zeitalter ist diese trashige Überproduktion sehr clever ausgeführt.

Eine ausgebildete Sängerin ist sie nicht, aber das hat es auch auf diesem Album nicht nötig, denn die weinerliche, geisterhafte und kindlich-klingende Windstimme passt wiederum zum Gesamtwerk, der den Feind im Körper poetisiert, dass es schon wieder authentisch für jene Weirdo-Erscheinung aus Amerika ist, die Angepasstheit ablehnt wie tote Tiere essen. Das macht sie und das Album schon wieder sympathisch.

Über die Songs wurde schon genug gesprochen, sodass ich das Album auf mich wirken lassen konnte ohne darüber nachdenken zu müssen. Außer, dass ich das Gefühl hatte, dass gleich Billie Eilish aus meinem Recorder kriechen wird, wie Samara aus dem Fernseher. Das zeugt wiederum von einem guten Album, welches der eigenen kranken Fantasie freien Lauf lässt.

Fazit: Keine Künstler dieser Welt schaffen es, ein Tourette-Syndrom musikalisch bass-lasziv so umzusetzen, dass es schon wieder poetisch wird. Das Album ist gut, aber nicht endlos zeitlos. Bis zum Club 27 ist auch noch Zeit. Mal sehen, wie sie sich bis dahin oder darüber hinauf (wünschenswert) entwickeln wird.

Live:

14.07.2020 Berlin (Mercedes-Benz Arena) ​

15.07.2020 Köln (Lanxess Arena)