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Christina Martin – Interview über Little Princess
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Christina Martin – Interview über Little Princess

Mit „Little Princess“ durfte mein Portal Female Voices die Premiere anführen, was mich sehr freute, denn Christina Martin und mich verbindet ein Verlust: Der Verlust unserer Brüder. Ich wollte diesbezüglich ein einzelnes Interview, hatte viele Fragen. Doch mich verließ mit in der Zeit die Kraft sowie der Mut, denn es kam das harte Leben dazwischen und meine Beine baumelten am Rande einer Depression. Eines Tages holte ich mein Herzkraftwerk zurück und habe Christina Martin um ein weiteres Interview gebeten, einem Interview, das mir sehr viel bedeutet.

…, wenn man ein Geschwisterteil verliert, ist man wie betäubt. Christina Martin schrieb über ihren Verlust einen Song: „Little Princess“, traf umgehend mein Herz und ich mir wünschte, dass das Stück auf die Hitlisten landen würde. Ich empfinde, dass Christina Martin ihre Gedanken und Emotionen hervorragend zur Geltung gebracht hat.

  • Ich habe mir vor über 10 Jahren ein wunderschönes Tattoo stechen lassen, das ich meinem Bruder Marcus widmete. Und du hast 10 Jahre nach dem Freitod deines Bruders Stephane den Song „Little Princess“ geschrieben. Wie erging es dir während des Schreibens des Songs und nach der Veröffentlichung?

Der Tod meines Bruders war eine versehentliche Überdosis. Er wollte nicht sterben, kämpfte und lebte aber die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens mit seiner Opioid-Abhängigkeit. Er war auf dem Weg der Besserung und hatte im Sommer 2013 einen Rückfall erlitten.

Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie ich mich beim Schreiben des Songs gefühlt habe. Wahrscheinlich war ich im Flow“ und es war nicht unbedingt schwer, sondern wie das Zusammensetzen von Puzzleteilen aus unserer Geschichte. Ich mag die Klarheit, die das Schreiben von Songs den Erinnerungen verleihen kann. Es ist auch eine Chance für mich zu sagen, was ich fühle, wie ich mich an etwas erinnere, und dem Ganzen auf meine eigene Art und Weise einen Sinn zu geben.

Wenn ich das Lied jetzt singe, fühle ich meist eine Art Verbindung zu ihm, aber ich habe sein Leben und die Geschichte akzeptiert, so dass ich es singen kann, ohne zu emotional zu werden. Ich habe seinen Tod akzeptiert. Wir alle sterben, seine Zeit kam früh und war tragisch.

Ich habe meine privaten Momente, in denen ich meine Trauer verarbeite. Ich schätze mich in gewisser Weise glücklich, dass ich mit der Musik eine Geschichte erzählen kann, um mich an Teile meines Lebens zu erinnern. Es ist meine Art, mich an meinen Bruder und unsere Verbindung zu erinnern und ihn zu ehren.

  • In dem Video zu „Little Princess“ hast du deine Ohnmacht sehr gut rübergebracht. Dazu hast du dich mit einer Science-Fiction-Geschichte über Wagemut und Abenteuer im tiefen Weltraum verbunden. Die Kunst wurde zu deinem Ventil. Der Song ist auch der rockigste der Platte „Storm“. Viele hätten darüber eine Ballade geschrieben, nur du nicht. Außerdem führt der Song als Eröffnung das neue Album an. Was gab dir den Impuls eine rockige Ode zu schreiben?

Mein Co-Produzent und mein Mann Dale und ich haben endlos über die Songs gesprochen, und ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht. Aber alles kann sich ändern, wenn man erst einmal im Studio ist und aufnimmt. Ich wollte, dass der Song nicht mehr ‚akustisch‘ klingt, denn ich liebe Rocksongs mit einer Geschichte dahinter. Wir haben wahrscheinlich über The Killers gesprochen und uns von deren Rhythmusgruppe inspirieren lassen, und Dale hatte ein paar tolle Ideen für die E-Gitarre, mit denen wir arbeiten konnten. Die musikalischen Arrangements kamen erst richtig zusammen, als wir mit dem Schlagzeuger Jordi Comstock und dem Bassisten Jason Vautour die Bett-Spuren aufnahmen. Wir haben den Song so lange geprobt, bis wir das Gefühl hatten, dass er den richtigen Groove hat, und der Rest hat sich einfach organisch entwickelt. Wenn man mit großartigen Musikern zusammenarbeitet, bringen sie viel Talent und Ideen in die Aufnahmesessions ein. Ich weiß nie wirklich, wie ein Song am Ende klingen wird, bis wir mittendrin sind.

  • Unsere Brüder waren Rebellen. Meiner hatte das Motto „Wenn mir jemand die Tür vorne zuschlägt, geh ich zur Hintertür wieder rein und versuche es noch einmal“. Hatte Stephane auch einen Leitsatz, gab dir dein Bruder etwas mit auf dem Weg?

Mein Bruder hatte ein tolles Lachen und ein großes Herz. Ich beobachtete, wie er sich um seine Freunde und sich um seine Nachbarn kümmerte. Das habe ich an ihm geliebt. Aus so vielen Gründen hat er mich dazu gebracht, ein besserer, freundlicherer Mensch zu werden. Er lehrte mich auch, dass es am wichtigsten ist, auf seine Gesundheit zu achten. Wenn man nicht gesund ist, kann man sich nicht um andere oder sich selbst kümmern.

  • Du erzähltest mir, dass sein seelischer Zustand euch entfremdete. So war es auch bei mir, nur waren es auch seine Aggressionen, mit denen er nicht umzugehen wusste. Woher auch, wir sind beide nicht gewollt. Es machte mir Angst. Und kein Geld zu haben, führt zu noch mehr Sorgen. – Viele kennen diese miese Sorge. Er hatte es nicht leicht, wir hatten es nicht leicht. Eines Tages sagte er zu mir: „Am 01. Juli ändert sich alles!“ Am 29.06.2000 starb er bei einem Autounfall. Vor Ort zirpte weder eine Grille, noch zwitscherte ein Vogel. Es wird mir immer so vorkommen, als wäre es erst gestern gewesen. An dem Tag als du erfahren hast, dass du Stephane nie mehr greifbar umarmen wirst, was passierte mit dir?

Ich stand unter Schock. Obwohl ich jahrzehntelang befürchtet hatte, dass er an Drogen oder Schlimmerem sterben würde, war ich zutiefst erschüttert, als es dann tatsächlich passierte. Meine Familie ist schnell wieder auf den Beinen. Ich ging in den „Planungsmodus“ über und kümmerte mich um die Vorbereitungen für seine Trauerfeier und darum, was mit seiner Wohnung, seinen Habseligkeiten und seinen sterblichen Überresten geschehen sollte. Ich blieb beschäftigt. Ich musste weiterleben. Ich nahm mir die Zeit, ihn in seinem Wohnkomplex mit seinen Freunden, Nachbarn und seiner engen Familie zu feiern.

  • Gab es für dich einen tiefgreifenden Wandlungsprozess? Was hast du nach der Zeit für dich selbst gelernt?

Viele Jahre lang trug ich einen Teil der Schuld und fühlte den Drang, es irgendwie „besser zu machen“. Der Verlust von Stéphane machte mich zu einem aufmerksameren Menschen in meinen anderen Beziehungen. Ich habe mich in meine Musik gestürzt und auch viel persönliche Arbeit geleistet, die ich nach wie vor tue. Ich fühle mich jetzt wie ein anderer Mensch und muss nicht mehr mit dem Schmerz über den Verlust meines Bruders und anderen vergangenen Traumata leben. Ich werde ihn immer vermissen, aber er hätte nicht gewollt, dass ich in Qualen über seinen Tod lebe. Die beste Art und Weise, wie ich meinen Bruder ehren kann, ist ein gesundes und glückliches Leben zu führen. Das ist es, was ich mir immer für ihn und für alle Menschen, die ich liebe, gewünscht habe.

  • Ich hätte heute gerne nach über 20 Jahren gewusst, wie mein Bruder ausgesehen, wie sein Leben sich entwickelt, ob er weiterhin den Absturz nahe war oder ob er sein Leben in Griff bekommen hätte. Was geht Dir durch den Kopf, wenn Du an Deinen Bruder denkst?

Manchmal träume ich von ihm, wie er gesund und glücklich ist und uns auf dem Land besucht. Ich träume davon, dass er sich geliebt und unterstützt fühlt. Diese Tagträume machen mich glücklich, sie machen mich nicht traurig.

  • Wie hast du dich wieder aufgerappelt? Bei mir war es Musik hören. Ich weiß noch den Song „Send Me An Angel“ von Real Life enorm zu hören. „Stay“ von Shakespeare Sisters usw. Musik gibt Kraft. Und nun bist du ein Teil dieser Kraft. Dafür danke ich dir sehr.

Etwas zu machen, Musik oder Musikvideos, oder einfach Pläne zu machen, um persönlich mit Menschen zusammenzukommen – das hat mir immer geholfen, mich wieder aufzurichten. Selbst als mein Bruder starb, habe ich versucht, eine gesunde Routine aus Arbeit, Sport und Meditation beizubehalten.

Nach dem Tod meines Bruders hatten wir eine lange Europa-Tournee, die mich auf Trab hielt. Ich liebe meine Arbeit, und das gibt mir einen Sinn und einen Grund, gesund zu bleiben. Nach dem Tod meines Bruders habe ich ab und zu einen Therapeuten aufgesucht. Ich hielt auch Kontakt zu einigen engen Freunden von Stéphane, und das war sehr hilfreich. Etwa drei Jahre nach seinem Tod konnte ich eine Partnerschaft mit dem CAMH in Toronto (Centre for Addiction and Mental Health) eingehen, die mir dabei half, jährlich über 14.000 Euro an Spenden von den Besuchern meiner Konzerte zu sammeln. Das gab mir das Gefühl, dass die Geschichte meines Bruders den Menschen hilft. Es gab mir eine ‚Aktion‘, als ich mich ziemlich hilflos fühlte und mir die Schuld gab, ihm nicht mehr geholfen zu haben.

Ich gebe mir jetzt nicht mehr die Schuld. Mein Bruder war ein Erwachsener, der Unterstützung brauchte, aber es war nicht meine Schuld, dass er mit seiner Sucht lebte und starb. Ich glaube auch, dass er so viel mehr war als seine Geisteskrankheit. Er wird immer der Mann mit dem besten Lachen und dem schrägsten Sinn für Humor bleiben, der zu seinen Nachbarn und völlig Fremden freundlich war. Er war ein begnadeter Künstler und eine brillante Seele.


– original English version –

With „Little Princess“ my portal Female Voices was allowed to lead the premiere, which made me very happy, because Christina Martin and I are connected by a loss: the loss of our brothers. I wanted a single interview about this, had many questions. But I lost my strength as well as my courage, because the hard life intervened and my legs were dangling on the edge of depression. One day I got my heart power back and asked Christina Martin for another interview, an interview that means a lot to me.

… When you lose a sibling, you are numb. Christina Martin wrote a song about her loss, „Little Princess“, immediately hit my heart and I wished the song would hit the charts. I feel that Christina Martin did an excellent job of expressing her thoughts and emotions.

  • I got a beautiful tattoo dedicated to my brother Marcus over 10 years ago. And you wrote the song „Little Princess“ 10 years after your brother Stephane’s suicide. How did you fare during the writing of the song and after its release?

My brother’s death was an accidental overdose. He didn’t want to die but struggled and lived with opioid addiction most of his adult life. He was on the road to recovery and had relapsed the summer of 2013.

I can’t remember exactly how I felt writing the song. I was probably in the ‘flow’ and it wasn’t necessarily hard, but like putting together puzzle pieces from our story. I like the clarity that songwriting can bring to memories. It’s also a chance for mem to say how I feel, how I remember something, and to make sense of it all in my own unique way.

When I sing the song now, mostly I feel a kind of connection to him, but I’ve come to accept his life and the story, so I can sing it without getting too emotional. I have accepted his death. We all die, his time came early and was tragic.

I have my private moments where I process grief. I guess in some ways I feel lucky to have music as a way to tell a story so I can remember parts of my life. It’s my way of remembering and honoring my brother and our connection.

  • In the video for „Little Princess“ you conveyed your powerlessness very well. To that end, you connected with a science fiction story about daring and adventure in deep space. Art became your outlet. The song is also the rockiest on the record „Storm.“ Many would have written a ballad about it, except you. Besides, the song leads the new album as an opening. What gave you the impulse to write a rocking anthem?

My co-producer and my husband Dale and I talked endlessly about the songs, and I put a lot of thought into it. But everything can change once you are in the studio recording. I wanted to take the song away from sounding ‘acoustic’ because I do love a rock song with a story behind it. We probably talked about The Killers and took inspiration from their rhythm section, and Dale had some great electric guitar ideas to work with. The musical arrangements really came together when we recorded the bed tracks with drummer Jordi Comstock and bassist Jason Vautour. We rehearsed the song until we felt it had the right groove, and the rest just evolved organically. When you work with great musicians, they bring great talent and ideas to recording sessions. I never really know how a song will end up sounding until we are in the thick of it.

  • Our brothers were rebels. Mine had the motto „If someone slams the door in my face, I’ll go back in the back door and try again. Did Stephane also have a motto, did your brother give you something along the way?

My brother had a great laugh, and he had a big heart. I watched how he looked after his friends and cared about his neighbors. I loved that part about him. For so many reasons, he made me what to be a better, kinder person. He also taught me that the most important thing is to look after your health. When you don’t have your health, you can’t care for others or yourself.

  • You told me that his mental state alienated you. It was the same with me, only it was also his aggressions that he didn’t know how to deal with. Where from, we are both not wanted. It scared me. And not having money leads to even more worry. – Many know this rotten worry. He didn’t have it easy; we didn’t have it easy. One day he said to me, „On July 01, everything changes!“ On 06/29/2000, he died in a car accident. On the spot, neither a cricket chirped, nor a bird chirped. It will always seem like it was just yesterday. The day you learned that you would never again tangibly embrace Stephane, what happened to you?

I was in shock. Even though for many decades I feared he would die from drugs or worse, when it actually happened, I was shaken to the bone. My family is quick to bounce back. I went into ‘planning’ mode and took over the arrangements for his memorial and what to do with his apartment, belongings, and his remains. I kept busy. I needed to keep living. I made time to celebrate him at his apartment complex with his friends, neighbors, and his close family.

  • Was there a profound process of change for you? What did you learn for yourself after that time?

For many years I carried some of the blame and felt an urgency to ‘do better’ somehow. Loosing Stephane made me a more attentive person in my other relationships. I threw myself into my music and also did a lot of personal work, which I continue to do. I feel like a different person now, where I no longer have to live with the pain from losing my brother, and other past traumas. I’ll always miss him, but he would not want me to live in agony over his death. The best way I can honor my brother is to live a healthy and happy life. That is what I always wanted for him, and for all the people I love.

  • I would have liked to know today, after more than 20 years, how my brother looked, how his life was developing, whether he continued to be the crash was close or whether he would have got his life under control. What goes through your mind when you think of your brother?

Sometimes I daydream about him being healthy and happy, visiting us in the countryside. I daydream about him feeling loved and supported. These daydreams make me happy; they don’t make me sad.

  • How did you pick yourself back up? For me, it was listening to music. I remember hearing the song „Send Me An Angel“ by Real Life tremendously. „Stay“ by Shakespeare Sisters, etc. Music gives you strength. And now you are a part of that power. I thank you very much for that.

Making something, music or music videos, or just making plans for connecting in-person with people – has always helped me pick myself back up. Even when my brother died, I tried to keep a healthy routine of work, exercise and meditation. We had a long Europa tour after my brother died, so that kept me busy. I love my work, so that gives me purpose and a reason to stay healthy. I did seek support from a therapist on and off after my brother died. I also kept in touch with some of Stephane’s close friends, and that was very helpful. About 3 years after his death, I was able to partner with CAMH in Toronto (Centre for Addiction and Mental Health) to help raise over 14K in yearly donations from audience members at my concerts. This helped make me feel like my brother’s story was helping people. It gave me an ‘action’ when I felt pretty helpless and blamed myself for not helping him more.

I now do not blame myself. My brother was an adult who needed support, but it was not my fault that he lived with addiction and died. I also believe he was so much more than his mental illness. He will always remain the guy with the best laugh and twisted sense of humor that was kind to his neighbors and total strangers. He was a gifted artist and a brilliant soul.


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