Zuallererst ein paar Zeilen zum ihrem Auftritt auf dem Stella Nomine Festival: Für Kirlian Camera war der Entenfang der richtige Ort, das Stella Nomine das richtige Festival und als Headliner die richtige Zeit, um im Rhythmus die applaudierende Ekstase einzufordern. Dazu erschaffen sie eine Atmosphäre, die nur echte Magie aufbringen kann. Elena Alice Fossi besitzt die kokettierende Gabe mit ihrer Schönheit zu magnetisieren und mit ihrer Stimme, sowohl die Umgebung zum Tanzen als auch die Augen zum Leuchten zu bringen. Sogleich sind die Gitarren wie Gewitter, die die geschickten Bergamini Electro-Arrangements entladen. Sie wettern. Sie zetern. Sie verstärken und jagen sich gegenseitig. Während Alice die Ketten der Vernunft sprengt, befreit Bergamini frequentiert jede Lunge von Staub.
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KIRLIAN CAMERA, deren musikalisch-kreativen Attribute unaufhörlich brodeln wie Lava. Bis deren glühende Energie von der Bühne aufsteigt, so heiß wie Magma, welches aus einem Vulkan austritt. Die Band aus Italien spuckt seit 40 Jahren beständiges, musisches Gold. Und mit „Radio Signals For The Dying“ feiern sie ihr Jubiläum, welches den zweiten Teil nach „Cold Pills“ (Scarlet Gate of Toxic Daybreak) bildet.
In ihren stetig neuen Kreationen aus alten, sowie neuen Meistern stehen sie in deren immensen Innovationen in nichts nach. Zudem brennen sie in ihrer Inspirationskraft für die Musik, die grenzüberschreitend von Genre, Stil und Konventionen ist, während Kirlian Camera immerzu wandelbare Klangarchitekturen errichten lassen. Diese zementieren sie in Einzigartigkeit, solange bis sie zu einer Ruine zerfällt. Doch daraus bauen sie ein neues klangliches Konstrukt, welches deren Bandbreite erweitert.
Ferner meißeln sie ihren begabten Namen in einen Hit einer Band von Rang & Klang, während der auserkorene Song sich zu neuen KC-Sphären erhebt. Dies taten sie mit „Wrong“ gleich, einem Depeche Mode Song aus dem Jahre 2009. Es ist erstaunlich, wie geschickt sie einen Song in ihre eigene markante Sphäre erheben lassen.
Diese Neuinterpretation befindet sich auf ihrem jüngstem Meisterwerk „Radio Signals For The Dying“, welches einen neuen künstlerischen Höhepunkt darstellt. Denn es spricht auch hierbei Bände, das sich über das extreme Energieniveau der italienischen Elektro-Provokateure verstreut. Auch „Radio Signals For The Dying“ verliert sich in berauschenden Details, reizvolle Tricks und großartigen Effekten, die ins Blut gehen.
„Stella Ominis“ ist ein hypnotisches Stück Zeitlosigkeit, welches sich von Anbeginn als Projektil vom Album abhebt. Es intensiviert die Andersartigkeit des Menschen, jenseits von Normalität ein Leben zu führen, ohne sich von dem bitteren Strom vergiften zu lassen, sowie seinen eigenen Stern festzuhalten, der einen selbst zusammenhält.
In „Götter, geht weg“ zitiert Elena Alice Fossi selbsterwählte „Gottheiten“ hinaus, weil: „Die erbärmlichen Karikaturen, die uns als ‚Götter‘ vorgesetzt werden, sind nicht einmal unseres Hasses würdig. Nicht zuletzt deshalb, weil wir viel höher entwickelte Wesenheiten kennen als diesen Unsinn, den man – eben – ‚Götter‘ nennt. In der Wut der Zeit, die es nicht gibt, erschafft unsere geistige Faulheit Gott und die Götter.“
Die The Sound Neuinterpretation „Winter“ ist so sensitiv wie die Einsamkeit. Dieser Song erinnert an den britischen Songwriter Adrian Borland, der sich nach einem langen Kampf mit einer psychischen Krankheit das Leben genommen hat.
„Madre Nera“ ist eine hingebungsvolle Ballade, die sich in den Nachthimmel einschmiegt und die Tür zu einem Mit- und Bittbildnis öffnet. Elena Alice Fossi erklimmt höhere Töne, die erdend sind.
„The Great Unknown“ startet mit einer Orgeleinleitung sowie „Oberstimmen“, die den Auftakt eines hingebungsvollen Songs fulminieren, bis die Elena Alice Fossi feat. Solitary Experiment Maschinerie einsetzt.
„C.R.U.D“ (Corpse Recovery Unit D) ist nicht nur ein eindringliches, sondern auch ein anprangerndes Stück Musikgeist, welches das verachtende Gebaren der Gesellschaft verurteilt.
Ein hervorragendes „Radio Signals For Fhe Dying“ zerlegt die Tiefen des menschlichen Geistes und rollt die Galle im Blute der Komplexität unserer Welt aus. Mit diesem kompaktem Album feiern Kirlian Camera ihr beachtliches Jubiläum, welches nach wie vor zeitlos ist, worin sich stets ein neuer dauerkeuchender Wurm im Ohr einnistet.
Erneut beweisen Kirlian Camera, dass sie als Elektro-Patronen seit vielen Jahrzehnten in einem Reich vielschichtiger Konstruktionen leben. Okkulte Transzendenz und subversive Inhalte gehören schon immer zum Kern ihrer Kunst. In der Vergangenheit hat ihre unverfrorene, zuweilen unverschämte Lust am Provozieren und daran, der Welt einen wahrheitsgemäßen Spiegel vorzuhalten, immer wieder Kontroversen ausgelöst, worin sich Kirlian Camera in Extravaganz ergötzen können. Vor allem erlauben sie sich, die Musik zu machen, die ihnen in den Sinn kommt, ohne sich weder an der TikTokisierung noch an der Intensivierung im Social Media mitzumessen. Das haben Kirlian Camera nicht nötig, denn sie gehen gesondert ihren eigenen Weg.
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