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Annemaríe Reynis – Im Interview über die EP „Not There Yet”
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Interviews

Annemaríe Reynis – Im Interview über die EP „Not There Yet”

  • Wie lange hast du dich mit der EP „Not There Yet“ auseinandergesetzt?
puh, ziemlich lange. Einige der Songs sind in meinen ersten Songwriting Camps entstanden. Das ist sicher schon so 6 der 7 Jahre her. Aufgenommen haben wir die Songs für die EP Anfang 2020. Du merkst, das Release ist längst überfällig…

  • Die EP bezieht auf Bewusstseinserweiterung und gewollter Selbstauseinandersetzung. Wie schwierig war für dich der Weg dies zu erreichen und welche Erkenntnis hast du für dich selbst erhalten, die du vermutlich auch mit der EP repräsentierst.

Ich habe für mich die Erkenntnis gewonnen, dass das Leben eigentlich ständig im Fluss ist. Ich habe oft gedacht, ich würde irgendwann „ankommen“, ich würde irgendwann ganz genau wissen, was ich im Leben erreichen will. Das Leben hat mich schon an einige Stationen geführt, die echt schön waren. Da dachte ich manchmal, ich sei angekommen. Doch es war nicht für immer. Mittlerweile habe ich akzeptiert, dass es so ist und dass das Leben und die Richtung, in die man geht, sich stetig wandeln.

  • Was geht in dir vor, wenn du neue Songs – wie auch nun die neue EP – veröffentlichst. Du gibst, quasi, deine Seele preis. Was macht das mit dir? – Wie oft hörte ich, dass Musikerinnen in der Zeit körperlich an ihre Grenzen gehen und krank werden. 

Ich bin natürlich immer ziemlich aufgeregt, wenn ich neue Songs veröffentliche. Aber ich freue mich auch sehr, auf diese Art etwas von mir zeigen zu können. Angst habe ich da nicht so viel. Bei einem Song weiß man ja auch nie so genau, was davon Dichtung und was Wahrheit ist… 😉 richtig schwierig finde ich es hingegen, zum Bsp. in den sozialen Medien Themen zu diskutieren, die mir sehr wichtig sind. Da habe ich immer Angst, nicht richtig verstanden zu werden oder dass es nicht die Reichweite gibt, die ich mir für diese Themen wünsche.

  • Was genau bedeuten die Songs für dich, die auch ein persönliches Licht leuchten lassen, oder irre ich mich?

Ich kann mich bei allen Songs vor allem daran erinnern, wie sie geschrieben wurden – das sind schöne Erinnerungen an liebe Kolleg:innen und an eine tolle Zeit, die wir miteinander geteilt haben. Nur „Why, Mom“ habe ich komplett allein geschrieben – in einer Zeit, in der ich mich gerade intensiv mit der Geschichte einer Freundin und meiner eigenen Mutterrolle auseinandersetzte.

  • Die erste herausgebrachte Single „Not There Yet“ pendelt zwischen Zuversicht und Trübseligkeit. Deine Empfindsamkeit ist spürbar. War diese Single ein großer Schritt für dich?

Die wichtigsten Zeilen in diesem Song sind für mich: „You said you’d need some rest, I thought you weren’t trying your best” und “Then, my feet started hurting, too, but I kept pushing through”. Ich glaube, ich bin in Beziehungen manchmal etwas pushy. Vielleicht habe ich dem einen oder anderen damit Unrecht getan. Ich bin auch nicht gerade der geduldigste Mensch. Und ziemlich perfektionistisch… Naja, das führt dann manchmal dazu, dass ich erst sehr spät merke, wenn meine Kräfte eigentlich am Ende sind (und das ist ziemlich ungesund!).

  • „Closer To Me“ ist eine Bittstellung zum Ankommen. Ich liebe die Art wie du den Song umgesetzt hast. Es liegt eine Americana Note auf ihm. Wann wurde dir bewusst, dass du mehr „Closer To Me“ sein musstest, damit du den Song schreiben konntest. 

Hihi, das ist tatsächlich der erste Song, den ich release, bei dem ich, was das Songwriting betrifft, meine Finger gar nicht im Spiel hatte. Geschrieben haben diesen Song drei großartige Kolleg:innen  von mir (Susann Grossmann, Wilma Weigelt, Martin Seidel). Sie haben diesen Song in einem Songwriting Camp geschrieben, in dem ich auch war, und ich habe mich so unfassbar in diesen Song, seine Melodie, die Stimmung… verliebt!

  • Ich habe den Eindruck von außen, dass du des Öfteren mit dir zu kämpfen hast. Was sind denn deine Bedenken, was dich und deine Musik angeht? 

Oh, das ist eine komplizierte Frage. Zum einen bin ich generell recht selbstkritisch und mir oft sehr unsicher, ob das gut ist, was ich da mache (was mir ein „üblicher“ Teil der Künstler:innenseele zu sein scheint…?). Zum anderen fällt es mir (wie vielen anderen ja auch) schwer, meinen Platz innerhalb der Musikindustrie zu finden. Das frustriert mich zunehmend. Ich investiere mittlerweile sehr viel Zeit, Geld und Herzblut, um meine Musik auf ein einigermaßen professionelles Niveau zu bringen. Die Musik ist für mich schon lange nicht mehr nur „Spaß“, sondern hauptsächlich Arbeit (die ich gerne mache!). Trotzdem habe ich oft das Gefühl, einfach nicht voranzukommen. Und ich sehe ja auch meine Kolleg:innen. Dort draußen ist so viel Talent unterwegs und ich finde es traurig, dass offenbar kein Platz für all dieses Talent ist. Auch sehr frustrierend finde ich, dass dieses „Wie du mit deiner Musik Erfolg hast“ mittlerweile ein riesig großer Markt geworden ist. Mir scheint, ein viel absatzstärkerer Markt als die Musikindustrie an sich – denn mit dem eigentlichen Produkt – im Studio aufgenommene Musik – lässt sich im Streaming-Zeitalter kein Geld mehr verdienen. Und dann erzählen die „Coaches“ dir in Workshops, es liege nur an deinem Zeitmanagement oder daran, dass du deine Marke noch nicht gut genug entwickelt hast… das kann auf lange Sicht eigentlich nur zu Frust und Selbstzweifeln führen.

  • Zieren (solche) Kämpfe lyrisch wie auch instrumental deine Musik? – Denn „Why, Mom“ ist ein sehr emotionaler wie auch intensiver Song und vermutlich eine Geschichte, die noch nicht erzählt wurde. Ich habe schon viel über Depressionen gehört, aber noch nicht aus der Sicht eines Kindes/Teenagers/Heranwachsenden. 

„Why, Mom“ ist ganz klassisch entstanden, so wie man es sich vorstellt: der Songwriterin begegnet ein Thema, das intensive Emotionen bei ihr auslöst und die muss sie dann in einem Song verarbeiten… 😉 Es bestätigt mich sehr, dass du sagst, dass du so über dieses Thema noch nicht gehört hast. Es wird mir zunehmend wichtiger, Themen anzusprechen, die, wie ich finde, in unserer Gesellschaft noch nicht ausreichend diskutiert werden.

  • Wir leben in einer unsicheren, verwirrenden Zeit, die Kraft kostet. Ich selbst nehme nur das nötigste an Nachrichten auf. Ja, ich kann es einfach nicht mehr hören und hülle mich in die Schönheiten des Lebens ein, in erfreulichem. Wie schützt du dich, oder lässt du „das“ an dich ran und saugst „es“ ein, schöpfst Ideen? (Denn deine „Not There Yet“ EP kommt wahrlich genau im richtigen Moment und darüber hinaus heraus.)

Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal machen wir die Krisen in dieser Welt sehr zu schaffen. Dann versuche ich, gut auf mich zu achten. Z.B, indem ich abends keine Nachrichten mehr schaue bzw. lese. Das ist eine gute Methode: sich Zeitfenster zu schaffen, in denen man aufnahmefähig für all diese Probleme ist-denn es ist ja auch wichtig, nicht wegzuschauen. Und sich den Rest des Tages dann aber auf andere Dinge zu konzentrieren und auch bewusst Entspannungsoasen zu schaffen. Eine Freundin anrufen, raus in die Natur gehen oder Musik machen.

  • Das Motto ist: Selbst, wenn alles düster ist, die Musik bleibt! Ja, es ist auch die Musik, die uns auffängt. Letztens fragte ich eine Freundin, ob sie denn Musik hört, Kopfhörer auf und sich transzendieren lässt. Sie gab mir ein klares Nein, aus desolatem Anlass heraus. – Kann ich auch verstehen, denn sie ist wie eine Mutter in „Why, Mom“. (Es macht mich hilflos!) Legst du auch eine CD auf und lässt dich transzendieren? Wenn ja, welcher Song lässt dich gegenwärtig aufsteigen?

Wenn ich entspannen möchte, dann höre ich am liebsten klavierlastige Instrumentalmusik zum Bsp. mag ich gerade sehr den Song „Poland“ von Ólafur Arnalds. Wenn ich lieber etwas motivierendes, lebendiges hören möchte, dann höre ich im Moment am liebsten „Love Child“  von Junius Meyvant. Und wenn ich mich mit lieben Kolleg:innen und einer schönen Tourerinnerung von 2022 verbinden möchte, höre ich „Du bist schön“ von Alin Coen.

  • Zu guter Letzt: Wie geht es dir eigentlich, auch mit der neuen Veröffentlichung? (Ich wünsche dir – wie immer – das Maximum am Über-Möglichem.)

Mit dem Release bin ich an sich sehr zufrieden. Ich mag die Songs, ich mag die Produktion, ich finde auch das Artwork, das entstanden ist, sehr schön. Leider hatte ich allerdings dieses Mal nicht so viel Zeit, mich um die Promotion zu kümmern, von daher ist das Release leider auch ein bisschen untergegangen, glaube ich. Naja, vielleicht kann ich im nächsten Jahr wieder ein paar mehr Shows spielen und vielleicht nimmt dann auch der ein oder andere Besucher:in eine CD mit… 😉


Titelbild: Stefanie Zúñiga Chongo

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