Female Voices
You Are Reading
Marianne Faithfull with Warren Ellis – She Walks in Beauty
1
Reviews

Marianne Faithfull with Warren Ellis – She Walks in Beauty

Es ist die Poesie, die sie umgibt und die sie fest an sich presst. Marianne Faithfull lebt in einer Welt voller Bücher, Lyrik und Musik. Seit jeher liebt sie englische romantische Dichter aus dem 19. Jahrhundert, die sie in „She Walks in Beauty“ mit ihrer gehaltvollen Stimme zum visuellen Leben erweckte.

Bei dieser Produktion wurden weder Kosten noch Mühen gescheut. Dies ist an der Aufmachung des wunderschön gestalteten Artwork des lyrischen Meisterwerkes zu erkennen, welches der britische Künstler Colin Self für das Album geschaffen hat. Es enthält alle vollständigen Texte der Gedichte, sowie abgelichtete Aquarelle, die passend für die Lesung auserwählt worden sind. Es ist die Poesie als zentraler Bestandteil des literarischen Traumes, den Marianne Faithfull sich selbst erfüllen und ihren stimmlichen Glanz geben wollte.

In „She Walks in Beauty“ sind elf kleine Lesungen in einer Dichtungshoheit, rezitiert und musikalisch von der Avantgarde untermalt. Die lyrische Hoheit wurde kurz vor und während des ersten Covid-19-Lockdowns mit musikalischen Freunden und Familie aufgenommen, zu denen nicht nur der Komponist Warren Ellis, sondern auch Nick Cave am Piano, Brian Eno, der Cellist Vincent Ségal und der Produzent-Engineer Head gehörten. Es sind die milden Streicher- und Gitarren-Ankleiden mit vereinzelten Geräuschen von Natur und Vogelgezwitscher, die Marianne Faithfulls auserlesenen Stücke unterstützen. Marianne Faithfulls Stimme steht bei dieser musikalischen Lesung stets im Vordergrund.

Um näher bei ihrer Familie zu sein, zog sie von Paris nach London um. In ihrem Londoner Haus wurde das Album zum Teil kurz vor und nach dem Lockdown mit PJ Harveys Produzenten Head aufgenommen. Head schickte die Sprachaufnahmen wiederum an Warren Ellis, der die Musik dazu in seinem Pariser Studio zu komponierte. „Ich habe sie nicht als Songs betrachtet.“, sagt er. „Ich war nicht auf Melodien oder Akkorde fixiert, und konnte mir unglaubliche Freiheiten nehmen. Es ging nicht darum, etwas zu kreieren, das dem Text folgen oder ihn umreißen musste – in dieser Hinsicht war ich frei. Das Wichtigste war, dass es sich nicht in den Weg stellte.“

Der Komponist und Multiinstrumentalist Waren Ellis beschreibt die Musik von „She Walks in Beauty“ als eine Art „musique concrete“, die Straßenklänge mit einer Reihe von akustischen und elektronischen Instrumenten und Verfremdungen verbindet. Und erzählt: „Meine bevorzugte Art, Musik zu machen ist es, vieles dem Zufall zu überlassen, Unfälle zuzulassen. Ich habe mich von den Strukturen in den Dingen wegbewegt. Diese Musik ist mein Versuch, etwas zu bewegen. Ich denke, sie ist so gut wie alles, was ich je gemacht habe“, fügt er hinzu, „im Hinblick auf ihren Spirit und den Prozess, den ich durchlaufen habe, als ich sie schuf.“

Es war der C-Virus, welches Marianne Faithfull letzten Jahres zusetzte und sie daran beinahe verstorben wäre, wäre da nicht ihr Wille des Lebens. Wenn das Leben der Persönlichkeit Marianne Faithfull näher betrachtet, dazu ihre veröffentlichten Bücher gelesen, so sollte ihr Leben verfilmt werden – wie einst das Leben von Tina Turner, Marlene Dietrich, Edith Piaf, Bob Dylan, David Bowie, Ian Curtis, Elton John und weiteren Künstler:innen. Sie hat erstaunlich viel zu erzählen, was sie in ihren Büchern aufrichtig und schonungslos ehrlich auf zeitlosem Papier niederschrieb. Sie gibt enorm viel Stoff, und Zunder dazu.

Dass die Lyrik im „She Walks in Beauty“-Booklet mit abgedruckt wurde, ist eine Wohltat für die Ohren, wenn diese „hörend“ der englischen Sprache auf CD oder Vinyl nicht mächtig sind, die Augen freilich mitlesen und somit übersetzen können. Somit ist die vernehmbare Lesung für den Geist effizienter und einfacher zu handhaben. Denn bedeutende Dichtung sollte man in Stille lauschen und genießen. In Hektik wäre es eine Farce an die Avantgarde, die die wiederauflebende Dichtung von der hingebungsvollen Lesenden, musikalisch einrahmt.

Marianne Faithfulls Rezitationen, einiger der größten lyrischen Gedichte der englischen Sprache, wie der Titelgeber von Lord Byron „She Walks in Beauty“ oder „The Lady of Shalott“ von Lord Alfred Tennyson, sind bewegend und werden durch sich selbst belohnt. So wie sie ihre Songs mit Hingabe singt, so rezitiert sie die liebevolle Auswahl an Lyrik. Die Poesie ist ihre Muse, ihre Kraft, die Musik dazu: ihr Leben!

Auf John Keats „Ode to a Nightingale“ öffnet sich ihre Stimme wie eine epische Landschaft, während sie in Percy Bysshe Shelleys „To The Moon“ jenseitig klingt, als riefe sie von einem anderen Medium herab. Die unmelodischen, jenseitigen Klangtexturen, die Eno auf „Bridge of Sighs“ und „La Belle Dame Sans Merci“ bereitstellt, werden zu einem überzeugenden Gegenpart für Marianne Faithfulls eindringliche Interpretationen dieser reichen, dunklen Gedichte.

Maestro Waren Ellis sagte zu der Auswahl an Dichtungen: „Sie glaubt an diese Texte. Diese Welt, sie bewohnt sie, verkörpert sie, und das dringt wirklich durch. Sie meint es wirklich ernst. Es ist kein blindes Lesen. Und was das Tolle daran ist, sie zu hören, ist, dass sie einen komplett mitnimmt. Es ist inklusiv. Sie lädt dich ein, mit ihr in diese Welt zu kommen. Das macht sie auch mit einem Song. Ich habe gesehen, wie sie im Studio Sachen macht, eine Stimme abliefert, bei der kein Auge trocken bleibt. Und dann sagt sie: „War das gut so?“. Sie hat eine dieser Stimmen. Die Art und Weise, wie sie singt, hat einfach etwas, das unglaublich berührt.“

So, und nun: Socken über die Füße, in die Decke mummeln und dann der Kraft der geschriebenen Worte lausche. Ich wünsche eine schöne Zeit.

***Nachdem ich das Album angehört habe, hätte ich mir gewünscht, dass sie noch ein Gedicht Theodor Körners vorlesen würde. Es ist mir gleich, was sie liest oder singt, selbst wenn es Rezepte wären oder das Telefonbuch vorsingt. Es ist immer spannend. Denn sie ist: Marianne Faithfull!

BTW: Sie würde die Worte „die große Marianne Faithfull“ hassen – was mir egal ist. Sie sagte einmal auf einem Konzert (2012): „Everybody said, that I’m strong, but it i’snt – i’m a crock!” – für mich ist sie Willensstark, famos und groß! Vom großen Sixties-Star zur altersweisen Frau, welche einer eleganten Lesenden wie Märchenoma gleicht.

Selbst wenn sie nicht mehr auftreten kann, so würde ich auch zu einer ihrer Lesungen gehen wollen, wenn sie die „She Walks In Beauty“ Gedichte rezitiert. Ich weiß, dass das nicht passieren wird, aber es sind meine Träume, die mir nicht genommen werden können. Zumal ist es auch der Virus, der sie durch die Nachwehen dazu zwingt, wahrscheinlich nicht mehr ihre grandiose Musik singen zu dürfen. Das Singen ist jedoch ihre Therapie, was sie weiterhin pflegt und ihre Lungen stärkt.


Foto: Rosie Matheson
Foto: Rosie Matheson

Wertvolle Links: